Frauen ticken anders – Männer erst recht!

04.12.2015 - Deutschland

Frauen sterben im Durchschnitt sechs Jahre später als Männer – mit 84 Jahren. Was bedeutet dieser Unterschied für die moderne Medizin? Brauchen wir eine eigene „Gendermedizin“ oder geht sie in der sogenannten personalisierten Medizin auf, die das Ansprechen des einzelnen Patienten auf die Therapie im Blick hat? Eine Veranstaltung der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Nürnberg und des Klinikums Nürnberg versuchte eine Standortbestimmung.

Ein Fazit der Veranstaltung: Für häufige Erkrankungen wie die Koronare Herzkrankheit und Tumorerkrankungen gibt es Unterschiede bei der Erkrankungshäufigkeit und dem Erfolg von Diagnostik und Therapien bei Männern und Frauen. Eine geschlechtsspezifische Behandlung ist deshalb notwendig. Männer und Frauen unterscheiden sich nicht nur in der unterschiedlichen körperlichen und genetischen Konstitution, sondern auch in ihrem Lebensstil und dem Umgang mit ihrer Erkrankung.

Frauen wollen reden, Männer wollen handeln

Krebserkrankungen werden oft unterschiedlich bewältigt: Während Frauen häufiger (rund 30 Prozent) mit schweren Ängsten, Depression und chronischer Müdigkeit reagieren, steht für Männer der Wunsch nach Autonomie und Kontrolle im Vordergrund. Es gilt das Muster: Frauen wollen reden, Männer wollen handeln.

„Die Unterschiede bei dem Umgang mit Krebserkrankungen sind eindeutig. Männer wollen weniger sprechen und sind vor allem um ihre Autonomie und Erwerbsfähigkeit besorgt, während Frauen ein großes Bedürfnis haben, einen Gesprächspartner für ihre Ängste und Nöte zu haben“, erklärte Professor Dr. Wolfgang Söllner, Chefarzt der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum Nürnberg. „Diese Bedürfnisse werden in dem medizinischen Behandlungsangebot, etwa bei der Aufklärung über belastende Behandlungen, und bei der psychoonkologischen Beratung berücksichtigt.“

Männer leben ungesünder und haben häufiger Herzinfarkte

Bekannt ist auch der Geschlechterunterschied beim Herzinfarkt: Während in Europa jedes Jahr rund 250.000 Männer daran sterben, sind es nur 77.000 Frauen vor dem 65. Lebensjahr. Wie ist der große Unterschied zu erklären? „Frauen sind vor den Wechseljahren durch Hormone geschützt. Die koronare Herzerkrankung nimmt bei ihnen erst etwa ab dem 55. Lebensjahr zu“, erklärt Professor Dr. Roland Veelken, Leitender Oberarzt der Klinik für Innere Medizin 4, Klinikum Nürnberg. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass es zudem die Unterschiede bei den Risikofaktoren in jüngeren Jahren sind, die die Erkrankungshäufigkeit beeinflussen. „Jüngere Männer haben häufiger einen hohen Blutdruck und schlechtere Blutfettwerte als Frauen“, sagt Professor Veelken. Der Grundstein für die längere Lebenserwartung von Frauen wird also bereits in jungen Jahren gelegt. „Nur bei einem weiteren wichtigen Risikofaktor, dem Rauchen, sind junge Frauen heute aktiver als junge Männer.“

Frauen greifen häufiger zu Schlafmitteln und Stimmungsaufhellern

Ein wichtiger Faktor ist auch die Therapietreue von Patienten. Werden Medikamente nicht genommen und Untersuchungen versäumt, so kann dies schwere Folgen haben. „Es gibt Unterschiede im Einnahmeverhalten von Medikamenten zwischen Männern und Frauen“, berichtet Dr. Annette Sattler, Leiterin der Apotheke am Klinikum Nürnberg. So wurde im Klinikum Nürnberg untersucht, welche Medikamente Patienten, die wegen eines Notfalls in die Klinik aufgenommen werden mussten, mitgebracht hatten. „Frauen nehmen prinzipiell mehr Medikamente ein, die sie sich selbst in der Apotheke besorgen“, so Dr. Sattler. „Und sie bekommen häufiger Antidepressiva verordnet (in der eigenen Erhebung: 20 Prozent, Männer rund 12 Prozent) und Schlafmitteln (10 Prozent, Männer rund 7 Prozent), die ein Abhängigkeitspotential bergen.“

Zukunftsperspektive ist die „personalisierte“ individuelle Medizin

Die Arzneimitteltherapie ist darüber hinaus ein Bereich, in dem die Gendermedizin längst Einzug gehalten. Der unterschiedlichen Aufnahme und den Verstoffwechslung von Arzneimitteln, den Interaktionen mit Hormonen bei Frauen und Männern muss Rechnung getragen werden. „Entscheidend ist aber nicht nur die Geschlechtszugehörigkeit, sondern die individuelle Betrachtung des Patienten und seiner jeweiligen körperlichen und genetischen Konstitution“, so Dr. Sattler. Insbesondere in der Krebsmedizin ist man bereits zum Teil mit Erfolg dazu übergegangen, das Ansprechen des einzelnen Patienten auf ein Arzneimittel zu testen („personalisierte Medizin“).

Originalveröffentlichung

Söllner W.; "Gender-Aspekte in der Onkologie: Wie erleben und bewältigen Männer eine Krebserkrankung?"; JATROS, Hämatologie & Onkologie 2 / 2011

Fritz J. et al.; "Mediation analysis of the relationship between sex, cardiovascular risk factors and mortality from coronary heart disease: Findings from the population-based VHM&PP cohort"; Atherosclerosis 243 (2015) 86 – 92

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