Kürbisförmiges Molekül für 100mal besseren Bildkontrast

Kontrastmittel spürt krankhafte Zellen auf

15.10.2015 - Deutschland

Angenommen man könnte krankhafte Prozesse wie Krebs schon ganz früh sichtbar machen und dazu noch die Zelltypen unterscheiden, wäre das ein großer Schritt für die personalisierte Medizin. Die Xenon-MRT hat das Potenzial dazu. Forscher am FMP haben mit dem kürbisförmigen Cucurbituril ein Molekül entdeckt, das mit dem Edelgas Xenon ganz besonders guten Bildkontrast erlaubt – etwa 100mal besser als bislang möglich. Der im Cover-Artikel von Chemical Science der Royal Society of Chemistry beschriebene Fund ist wegweisend, um neue Kontrastmittel auf die verschiedensten Zelltypen hin maßzuschneidern und könnte die molekulare Diagnostik künftig auch ohne Gewebeproben möglich machen.

Graphik: Barth van Rossum, FMP

Molekulare Käfige zum temporären Einfangen von Xenon-Atomen weisen sehr unterschiedliche Austauschraten für das hyperpolarisierte Edelgas auf. Wie im Artikel von Martin Kunth et al. gezeigt, ermöglicht das kürbisförmige Cucurbit[6]uril (rechts) eine wesentlich bessere NMR-Signalverstärkung durch schnelleren Austausch als das bisher verwendete Cryptophan-A (links).

Personalisierte Medizin statt eine Behandlung für alle – dieser Ansatz hat insbesondere in der Krebsmedizin zu einem Paradigmenwechsel geführt. Die Molekulare Diagnostik ist jener Schlüssel, um Patienten den Zugang zu einer maßgeschneiderten Therapie zu öffnen. Wenn jedoch Tumore in schwer zugänglichen Körperbereichen liegen oder bereits mehrere Tumorherde vorhanden sind, scheitert es oft an ausreichender Empfindlichkeit der diagnostischen Bildgebung. Die aber wird benötigt, um die verschiedenen Zelltypen bestimmen zu können, die sich selbst innerhalb eines Tumors erheblich unterscheiden. Mit dem PET-CT können heute zwar schon kleinste Tumorherde und andere krankhafte Veränderungen aufgespürt werden, eine Differenzierung nach Zelltyp ist jedoch für gewöhnlich nicht möglich.

Wissenschaftler vom FMP setzen deshalb auf die Xenon-Magnetresonanztomographie: Die Weiterentwicklung der herkömmlichen Kernspintomographie macht sich die „Leuchtkraft“ des Edelgases Xenon zu Nutze, das in der MRT ein 10.000-fach verstärktes Signal liefern kann. Dazu muss es im erkrankten Gewebe von sogenannten „Käfig-Molekülen“ vorübergehend eingefangen werden. Mit bisher verwendeten Molekülen gelingt das mehr oder weniger gut, von einer medizinischen Anwendung ist der experimentelle Ansatz jedoch noch weit entfernt.

Cucurbituril liefert verblüffende Bildkontraste

Die Arbeitsgruppe von Dr. Leif Schröder am Forscher am Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP) hat nun ein Molekül entdeckt, das alle bisher verwendeten Moleküle in den Schatten stellt. Cucurbituril tauscht etwa 100mal mehr Xenon pro Zeiteinheit aus als seine Mitstreiter, was zu einem wesentlich besseren Bildkontrast führt. „Es war schnell klar, dass sich Cucurbituril als Kontrastmittel eignen könnte“, berichtet Leif Schröder. „Überraschend war jedoch, dass damit markierte Bereiche in den Bildern mit viel besserem Kontrast dargestellt werden als bisher.“ Die Erklärung liegt in der Geschwindigkeit. Cucurbituril reagiert sozusagen bei der Belichtung schneller als alle bisher verwendeten Moleküle, da es das Xenon nur sehr kurz bindet und somit die Radiowellen zum Nachweis des Edelgases innerhalb einem Bruchteil von Sekunden auf sehr viele Xenon-Atome überträgt. Dadurch wird das Edelgas sehr viel effizienter durch das Molekül geschleust.

In der Studie sind weltweit zum ersten Mal MRT-Aufnahmen mit Cucurbituril gelungen. Mit Hilfe eines starken Lasers und eines verdampften Alkalimetalls haben die Forscher die magnetischen Eigenschaften von gewöhnlichem Xenon zunächst enorm verstärkt. Das hyperpolarisierte Gas wurde dann in eine Testlösung mit den Käfig-Molekülen eingeleitet. Eine anschließende MRT-Aufnahme zeigte die Verteilung des Xenons im Objekt. In einer zweiten Aufnahme zerstörte das Curcurbituril zusammen mit Radiowellen die Magnetisierung des Xenons vorab, wodurch dunkle Flecken auf den Bildern entstanden. „Der Vergleich beider Aufnahmen belegt, dass nur das Xenon in den Käfigen die richtige Resonanzfrequenz hat, um einen dunklen Bereich zu erzeugen“, erklärt Schröder. „Diese Schwärzung ist mit Cucurbituril viel besser möglich als mit bisherigen Käfig-Molekülen, denn es arbeitet wie ein sehr lichtempfindliches Fotopapier. Der Kontrast ist etwa 100mal stärker.“

Für jeden Zelltyp ein hoch spezifisches Kontrastmittel

Gerade wurden auch in einer weiteren Publikation erste Tests mit Zellmaterial veröffentlicht, bei denen Cucurbituril zudem in der Lage ist, ein bestimmtes Enzym zu detektieren, das in Krebszellen gehäuft vorkommt. Anhand der Enzymreaktion lässt sich auf die Bösartigkeit der Zellen schließen. Das Besondere daran: Schon relativ wenig Zellmaterial reicht dann aus, um die Tumorzellen im MRT darzustellen. Den Forschern zufolge könnten zukünftig also schon sehr kleine Tumorherde mit der neuen Methode aufgespürt werden. Doch davon ist man noch weit entfernt. Zunächst muss in Tierstudien bewiesen werden, ob sich die bisherigen Testergebnisse überhaupt auf den lebenden Organismus übertragen lassen. Wenn ja, könnten hoch sensitive Kontrastmittel daraus entwickelt werden, die weitere Enzyme und damit ganz unterschiedliche Zelltypen markieren können.

Für die Krebsdiagnostik wäre das ein Meilenstein. Bei einer MRT-Untersuchung könnten Ärzte durch die Gabe mehrerer Kontrastmittel die Krebszellen gleich molekular klassifizieren und die Therapie entsprechend individualisieren. Ganz ohne belastende Biopsien, wie Leif Schröder betont. Sein Kooperationspartner von der Jacobs University Bremen, Dr. Andreas Hennig, nennt noch einen weiteren Pluspunkt: „Die Xenon-MR-Tomographie hat den großen Vorteil, dass es im Gegensatz zu klassischen radioaktiven Kontrastmitteln keine nennenswerte Strahlenbelastung für den Patienten gibt. Außerdem haben sich Cucurbiturile in Toxizitätstests mit Mäusen als unbedenklich erwiesen“, so der Chemiker.

Abgesehen von dem ehrgeizigen Ziel, die Xenon-MRT als eine Art Biopsieersatz am Menschen einzusetzen, kann die Arbeit schon bald einen Beitrag zur Arzneimittelforschung leisten. Die Wirkung von neuen Substanzen auf den Krankheitsverlauf kann nämlich in den Tierstudien, die ohnehin durchlaufen werden müssen, getestet werden.

Erstautor Martin Kunth sieht in der Entdeckung von Cucurbituril aber erst den Anfang einer erfolgsversprechenden Entwicklung. Denn die Studie liefert auch eine ganz generelle Erklärung, welche Eigenschaften ein Xe-MRT-Kontrastmittel haben muss, um noch sensitiver detektiert zu werden. „Dieses Wissen haben wir gezielt mit dem Cucurbituril ausgenutzt, es lässt sich aber auch auf noch weitere Moleküle übertragen“, sagt Physiker Kunth. „Auf jeden Fall können wir mit dem Ansatz jetzt viel sensitivere Kontrastmittel entwickeln und genau das war der Knackpunkt bei dem innovativen Bildgebungsverfahren.“

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