Alzheimer früh erkennen?

Manche Ärzte profitieren von der Angst

16.09.2015 - Deutschland

(dpa) Es könne jeden treffen, «sogar die Stärksten und Erfolgreichsten». Rudi Assauer, Margaret Thatcher, Ronald Reagan: So listet ein Anbieter von Alzheimer-Früherkennungstests die Promi-Fälle im Internet. Wer frühzeitig das eigene Erkrankungsrisiko kennen wolle, könne sich «bequem» einer nicht-invasiven Gehirnuntersuchung unterziehen. Seit einigen Jahren gibt es Privatpraxen, die auf diese Weise besorgte, aber oftmals beschwerdefreie Patienten testen. Die Verfahren seien als sehr kritisch einzustufen, wie Experten anlässlich des Welt-Alzheimertages (21.9.) betonen.

«Patienten könnten es billiger haben - und seriöser», sagt die Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner Charité, Isabella Heuser. Ihre Stimme wird laut, wenn sie von den «zweifelhaften Produkten» der Anbieter spricht. Es handle sich um «schäbige Geldmacherei», sagt Heuser, die auch im Vorstand der Deutschen Hirnliga vertreten ist.

Heuser spricht von Methoden, die meist auf Magnetresonanztomographie (MRT) basieren: Mit den modernen Geräten wird ein Bild des Gehirns angefertigt. Damit sollen etwa strukturelle Erkrankungen im Hirngewebe oder eine veränderte Größe bestimmter Hirnbereiche aufgespürt werden können. Bereits kleinste Veränderungen in der Hirnstruktur ließen sich in hochaufgelösten 3D-Aufnahmen des Gehirn nachweisen - so verspricht manch ein Werbetext.

«Für den einmaligen Test kassieren die Praxen mehrere hundert, einige mehr als tausend Euro. Empfohlen wird teilweise, die Analyse nach einigen Jahren erneut durchzuführen», ergaben Recherchen von «Spiegel online». Der Geschäftsführer einer Firma, die im Auftrag der Praxen die MRT-Aufnahmen zur Risikoanalyse mit einem Computerprogramm auswertet, habe sich gegen Kritik gewehrt: «Es stimmt nicht, dass wir den Menschen Angst machen», zitiert «Spiegel online» den Experten.

Bei Untersuchungen des Hirnvolumens prüfen Ärzte anhand von Gehirn-Normdaten entsprechend des Alters und des Geschlechts, ob statistisch ein erhöhtes Erkrankungsrisiko vorliegt, erläutert Heuser. Frühzeitig Alzheimer erkennen lasse sich so aber nicht. Vielmehr könne das Ergebnis bei Patienten mit angeschlagener Psyche Schaden anrichten, meint Heuser: «Den Menschen, der dann vielleicht einen etwas schmäleren Hippocampus hat, stürzt man in eine Lebenskrise. Dabei hat er vielleicht nur eine Depression.» Solche Fälle gebe es «ganz häufig». 

«Bildgebende Verfahren sind wichtig, aber sie sagen nicht alles», sagt der Mediziner Volker Edelmann (Vivantes-Kliniken Berlin). Wer zum Spezialisten in eine sogenannte Gedächtnissprechstunde geht, wird den Experten zufolge einer ganzen Reihe von Tests unterzogen: Mediziner sprechen mit Angehörigen, prüfen bisherige Befunde und Vorerkrankungen, machen neurologische Untersuchungen und testen etwa, wie gut man sich etwas merken kann. Ist ein Patient noch relativ jung, können auch die MRT-Aufnahmen des Gehirns und eine Untersuchung des Nervenwassers zusätzlich Aufschluss bringen. «Das Urteil, ob wahrscheinlich eine Demenzerkrankung vorliegt, fällt aus der Summe dieser Tests», betont Edelmann.

Die nötigen Untersuchungen bezahlt in der Regel die Krankenkasse. Kostenpflichtigen Tests vor dem Ausbruch von Symptomen steht auch die Deutsche Alzheimer-Gesellschaft skeptisch gegenüber, heißt es auf Anfrage. Doch der Markt dafür dürfte wachsen: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass sich die Krankenzahlen bis 2050 geschätzt verdreifachen. Deutschlandweit gibt es rund 1,5 Millionen Menschen mit Demenzerkrankungen, die meisten haben Alzheimer. Zuletzt gab es jedoch auch Studien, in denen eine epidemieartige Ausbreitung von Alzheimer angezweifelt wird.

Da mit manchen Tests nicht nur Gewissheit, sondern auch ein medizinischer Vorteil versprochen wird, sehen die Fachleute auch ein ethisches Problem: «Da Medikamente zur Vorbeugung noch fehlen, kann ein solcher Test bei ungünstigem Ergebnis mehr Verunsicherung schaffen, als dass er nutzt», sagt Edelmann. Das Resultat müsse behutsam mit den Betroffenen und den Angehörigen besprochen werden. Patienten könnten sich lediglich insofern schützen, dass sie zum Beispiel ein möglichst gesundes Leben führen. 

Mit Vorsorge hätten die Tests nichts zu tun, sagt Isabella Heuser. Zu ihr kommen dennoch immer wieder Patienten, die sich den Verfahren schon unterzogen haben, wie die Medizinerin sagt. Eine andere Wahl, als sich doch noch umfassend testen zu lassen, haben sie wohl kaum.

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