Liquid Biopsy ist noch nicht „fit“ für die Diagnostik

20.05.2015 - Deutschland

Molekularbiologische Analysen an Blut (sog. Liquid Biopsy Analysen) könnten in den nächsten Jahren zu einer neuen wichtigen Methode in der Diagnostik werden – vor allem unter dem Aspekt der personalisierten Medizin. Doch ist die blutbasierte Analytik von Nukleinsäuren, speziell in der Krebsdiagnostik, wirklich bereits auf dem Weg zum neuen „Gold-Standard“, wie von einigen Seiten geäußert?

Die Deutsche Gesellschaft für Pathologie (DGP) meint: Noch nicht – und sieht den Einsatz der Liquid Biopsy Analysen unter Vorbehalt. Denn noch weisen sie zu große Unsicherheiten auf, um damit verlässliche Aussagen für Diagnostik oder Therapie treffen zu können.

In den vergangenen beiden Jahren hat die Liquid Biopsy – die blutbasierte Analytik von Nukleinsäuren (DNA oder RNA) – große Aufmerksamkeit erfahren. Sie soll bei der Früherkennung, Diagnose und Verlaufskontrolle von Erkrankungen wie Krebs einen wichtigen Beitrag leisten. Die Vorteile dieser Methode: Will man etwa bei einer Krebserkrankung die molekulare Entwicklung von Tumoren verfolgen, um entstehende Resistenzen gegen die verwendeten Therapien frühzeitig zu erkennen, müssen dem Patienten nicht jedes Mal invasiv (und damit belastend) Gewebeproben entnommen werden. Eine Blutabnahme, gefolgt von der Untersuchung der im Blut frei zirkulierenden, zellfreien DNA (englisch: cell-free DNA = cfDNA) ist deutlich weniger belastend und zudem einfach zu wiederholen.

Liquid Biopsy-Analysen: nicht bei allen Tumorarten sinnvoll

Dennoch ist diese neue molekularpathologische Analysemethode nach Meinung der Arbeitsgemeinschaft Molekularpathologie der DGP noch mit Vorsicht zu betrachten. „Liquid Biopsy basierte Analysen können eine gute Ergänzung der bisherigen histologischen und molekularpathologischen Diagnostik des Tumorgewebes sein, diese fundamentalen Verfahren aber nicht ersetzen“, sagt der Molekularpathologe Prof. Dr. Edgar Dahl, Leiter der Molekularpathologischen Diagnostik an der Uniklinik der RWTH Aachen, und warnt vor voreiligen Schlüssen – auch im Hinblick auf kommerzielle Anbieter, die diesen neuen Diagnostikmarkt gerne rasch erschließen wollen.

Dahl hat gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen Prof. Dr. Andreas Jung (Ludwig-Maximilians-Universität München) Prof. Dr. Silke Laßmann (Universität Freiburg/DKFZ Heidelberg), Dr. Jana Fassunke (Universität Köln), Prof. Dr. Michael Hummel (Charité-Universitätsmedizin Berlin), Dr. Roland Penzel (Universität Heidelberg) und Prof. Dr. Wolfgang Dietmaier (Universität Regensburg) die kürzlich im Springer Verlag veröffentlichte Stellungnahme „Chancen und Risiken der blutbasierten molekularpathlogischen Analytik zirkulierender Tumorzellen (CTC) und zellfreier DNA (cfDNA) in der personalisierten Krebstherapie“ verfasst.

Große Schwankungen bei Tumor-DNA

Zellfreie zirkulierende Tumor-DNA ist nicht bei allen, sondern bei etwa 70 Prozent der metastasierten Tumorerkrankungen nachzuweisen. Es seien große Unterschiede zwischen unterschiedlichen Tumortypen und in Abhängigkeit vom Tumorstadium feststellbar, schreiben die Autoren. So ist in fortgeschrittenen Darm- oder Eierstockkarzinomen in fast 100 Prozent der Fälle zellfreie Tumor-DNA (cfDNA) nachweisbar, hingegen ist die Frequenz im Prostata- und Nierenkarzinom auch bei Metastasierung mit 40 Prozent vergleichsweise gering. Darüber hinaus zeigen Stadium-IV-Tumoren über alle Krebsarten betrachtet eine cfDNA-Detektionsrate von 82 Prozent, Stadium-I-Tumoren allerdings nur 47 Prozent. Für Gehirntumoren sei der cfDNA-Nachweis wegen der Blut-Hirn-Schranke sogar komplett ungeeignet, da nur extrem wenige DNA-Fragmente im Blut aufgefunden werden konnten, heißt es in der Stellungnahme. Edgar Dahl sagt: „Überraschend und bisher noch kaum erklärbar ist, warum auch innerhalb einer Krebsart die Menge an nachweisbarer cfDNA dramatisch schwankt, beim Dickdarmkrebs zum Beispiel bis zu einem Faktor von über 10.000.“

Noch viele Fragen offen

Liquid Biopsy-Analysen sind demnach, nach aktuellem Kenntnisstand, nicht für alle Krebs- beziehungsweise Tumorarten und -stadien gleichermaßen geeignet. Weitere Studien mit größeren Fallzahlen zur Übereinstimmung von gewebe- und blutbasierter molekularer Diagnostik sind vonnöten. Auch arbeiten internationale Forschergruppen weiterhin daran, die Grundlagen dieser potenziellen neuen Diagnostik besser zu verstehen, z.B. die Ursachen der enormen Variabilität der cfDNA-Konzentrationen und ihre Entstehungs- und Abbauprozesse zu entschlüsseln.

Ohne solche grundsätzlichen Erkenntnisse, so Dahl weiter, sei eine Anwendung der Liquid Biopsy für die Routine-Diagnostik von Krebspatienten noch risikobehaftet. Auch setzte ein sinnvoller Einsatz in der Onkologie die Kenntnis der Treibermutationen aus der molekularpathologischen Gewebediagnostik unbedingt voraus. Schließlich gibt es auch noch technische Herausforderungen, da die derzeit für Liquid-Biopsy-Analysen verwendeten Technologien aufgrund ihrer extremen Empfindlichkeit noch anfällig sind für Störungen; auch sind sie bisher kaum standardisiert. Dies erlaube bislang kein flächendeckendes Qualitätsmanagement.

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