Neues Pestivirus entdeckt

Enge Verwandtschaft zum Virus der Klassischen Schweinepest

12.03.2015 - Deutschland

Wissenschaftler des Instituts für Virologie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo) entdeckten in einem Kooperationsprojekt bei kleinen Wiederkäuern eine neue Pestivirusspezies, die eine erstaunlich enge Verwandtschaft zum Virus der Klassischen Schweinepest besitzt. In der aktuellen Studie konnten sie zeigen, dass eine Übertragung dieser Viren auf Schweine ernste Konsequenzen für die Überwachungs- und Bekämpfungsprogramme der Klassischen Schweinepest haben könnte. Ihre Ergebnisse haben sie im Fachmagazin Emerging Infectious Diseases veröffentlicht.

Zu den Pestiviren zählen zahlreiche veterinärmedizinisch relevante Virusspezies. So beispielsweise das Border Disease Virus (BDV), das bei Schafen und Ziegen auftritt, das Virus der bovinen Virusdiarrhö (BVDV-1, BVDV-2) und das Virus der Klassischen Schweinepest (KSP). Am Institut für Virologie der TiHo forschen die Wissenschaftler daher seit Jahrzehnten intensiv an der Biologie und Evolution dieser Viren. Seit 1980 sammelt das Institut zudem als Referenzlabor der Europäischen Union für die Klassische Schweinepest alle Informationen über KSP-Fälle in der EU. Jeder Primärausbruch der Klassischen Schweinepest in einem EU-Mitgliedsstaat wird durch eine unabhängige Untersuchung am Institut für Virologie der TiHo bestätigt. Zusätzlich ist das Labor neben weltweit vier weiteren Einrichtungen ein Referenzzentrum der Welttiergesundheitsorganisation (OIE) für KSP. „Diese Vernetzung im Bereich der Schweinepestdiagnostik und -bekämpfung auf europäischer Ebene und darüber hinaus ist eine hervorragende Möglichkeit, internationale Kooperationen anzuschieben“, erklärt der Institutsleiter und Direktor des EU- & OIE-Referenzlabors, Professor Dr. Paul Becher.

Eine solche Kooperation hat sich aus einer Entdeckung ergeben, die Wissenschaftlern der Universität Ankara machten: In Blutproben von Schaf- und Ziegenherden aus unterschiedlichen türkischen Provinzen wiesen sie Antikörper nach, die in hohem Maße mit KSP-Viren reagierten. „Diese Entdeckung hat uns beunruhigt und gleichzeitig neugierig gemacht“, berichtet Becher. „Der Fund deutete auf eine mögliche Infektion der Tiere mit Klassischer Schweinepest hin. Bislang beschränkt sich das Schweinepestvirus aber auf Haus- und Wildschweine. Wären die Schafe und Ziegen mit dem KSP-Virus infiziert gewesen, hätte es bedeutet, dass das Virus auf andere Spezies übergegangen ist.“ Gegen diese Theorie sprachen allerdings die klinischen Symptome der infizierten Tiere, die auf eine Infektion mit dem Border Disease Virus schließen ließen: Fruchtbarkeitsstörungen, Aborte, Missbildungen und zentralnervöse Ausfallerscheinungen bei den Nachkommen. Im Rahmen ihrer Aufgaben als EU- & OIE-Referenzlabor führten die TiHo-Virologen gemeinsam mit Forschern der Universität Ankara, dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und dem Heinrich-Pette-Institut eine Studie durch, um die Hintergründe dieser Beobachtung aufzuklären. Im Mittelpunkt stand dabei die detaillierte Charakterisierung der Viren.

Mittels molekularbiologischer Methoden entschlüsselten die Wissenschaftler die kompletten Genome von zwei Virusisolaten aus den betroffenen Beständen. Professor Paul Becher und Dr. Alexander Postel, Institut für Virologie der TiHo, fanden über Verwandtschaftsanalysen heraus, dass diese Viren Vertreter einer neuen Pestivirusspezies sind. Genetisch ist die neue Spezies mit Schweinepestviren ähnlich eng verwandt wie mit den Border Disease Viren. Da das EU-Referenzlabor über eine umfangreiche Sammlung an Virusstämmen und definierten Immunseren verfügt, war es darüber hinaus möglich, auch die Spezifität der Serumantikörper gegen diese Viren im Detail zu untersuchen. Das erstaunliche Ergebnis: Antikörper, die nach einer Infektion mit den neu entdeckten Pestiviren entstehen, sind den KSP-Virus-spezifischen Antikörpern ähnlicher als Antikörpern nach Infektionen mit dem Border Disease Virus. Damit sind die Antikörper gegen diese neu entdeckten Viren mit herkömmlichen serologischen Testmethoden nicht von solchen nach einer Infektion mit KSP zu unterscheiden. Für die KSP-Überwachungsprogramme, aber auch für die wissenschaftliche Begleitung von Impfkampagnen, die in vielen Ländern durchgeführt werden, sind aber genau solche serologischen Tests unverzichtbar. Eine Übertragung von solchen Pestiviren auf Schweine und deren Ausbreitung in Haus- und Wildschweinen wäre damit ein ernstes Problem für die etablierten KSP-Bekämpfungsstrategien.

Becher sagt: „Zunächst können wir jedoch Entwarnung geben, denn experimentelle Infektionen an Schweinen lieferten keine Hinweise auf eine effiziente Virusvermehrung und Ausscheidung und lösten auch keine Krankheitssymptome aus.“ Dennoch sind diese neu entdeckten Viren, da sind sich die Wissenschaftler der TiHo einig, auch wegen der hohen Mutationsrate dieser RNA-Viren mögliche Kandidaten für einen Wirtswechsel. „Sie könnten dann zu einem großen Problem werden“, sagt Becher. Bis die neue Virusspezies einen Namen hat, wird es im Übrigen noch etwas dauern: Für die offiziellen Namen bei neuen Virusspezies und damit auch für die offizielle Anerkennung ist das „International Committee on Taxonomy of Viruses" zuständig. Das Prozedere dauert meist ein bis zwei Jahre.

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