Nanosicherheitsforschung - vieles läuft schief
Die Suche nach dem Gold-Standard
Empa
Forschung an der Sicherheit von Nanopartikeln liegt im Trend. Tausende Wissenschaftler weltweit forschen an diesem Thema. So geht es etwa um die Frage, ob Titandioxid-Nanopartikel aus Sonnencremes über die Haut in den Körper gelangen, ob Kohlenstoff-Nanoröhrchen aus Elektronikprodukten so lungengefährlich sind wie einst Asbest oder ob Nanopartikel in Lebensmittel durch die Darmflora ins Blut gelangen können. Das öffentliche Interesse ist gross, die Forschungsgelder fliessen – und die Zahl der wissenschaftlichen Arbeiten schnellt in die Höhe: Zwischen 1980 und 2010 wurden insgesamt 5000 Arbeiten publiziert, in den letzten drei Jahren kamen 5000 weitere dazu. Doch der Erkenntnisgewinn steige nur marginal – denn der Grossteil der Arbeiten sei schlecht durchgeführt und für die Risikoabschätzung unbrauchbar, sagt Krug.
Wie kommen Nanopartikel in den Körper?
Künstlich hergestellte Nanopartikel – mit Abmessungen zwischen 1 und 100 Nanometern – können prinzipiell auf drei Arten in den Körper gelangen: durch die Haut, über die Lunge und über den Verdauungstrakt. Übereinstimmend kommen fast alle Arbeiten zum Ergebnis, dass gesunde, unverletzte Haut keine Nanopartikel bis in lebende Zellschichten durchlässt. Beim Weg über Magen und Darm sind sich die Forscher uneins. Doch bei genauerer Betrachtung sind viele alarmistische Meldungen von zweifelhaftem Wert – etwa dann, wenn Nanopartikel aus löslichen Stoffen wie Zinkoxid oder Silber untersucht wurden. Die Partikel lösen sich auf; die in den Körper wandernden Ionen wirken als Zellgift. Doch dieser Effekt hat mit dem Thema Nanopartikel nichts zu tun, er hängt nur noch mit der Giftigkeit der (gelösten) Substanz und der aufgenommenen Dosis zusammen.
Versuchstiere sterben sinnlos – drastische Überdosen und andere Fehler
Auch fand Krug heraus, dass manche Experimentatoren ihre Versuchstiere mit absurd hohen Mengen an Nanopartikeln traktieren. So fütterten chinesische Wissenschaftler Mäuse mit fünf Gramm Titanoxid pro Kilogramm Körpergewicht, ohne Effekte festzustellen. Zum Vergleich: Die halbe Menge Kochsalz hätte die Tiere bereits getötet. Auch bei der Untersuchung der Lungengängigkeit von Nanopartikeln wird geschlampt und geschludert: Inhalationsversuche sind teuer und aufwändig, weil dafür eine definierte Menge Partikel in der Luft verwirbelt werden muss. Einfacher ist es, die Partikel direkt in die Luftröhre des Tiers zu platzieren («Instillation»). Dabei übertreiben manche Forscherinnen und Forscher derart, dass die Tiere an der schieren Masse der Nanopartikel ersticken.
Andere verzichten zwar auf Tierversuche und unternehmen in vitro-Versuche an Zellen. Doch auch hier werden Zellkulturen unter 500 Nanometer dicken Schichten Nanopartikeln so zugedeckt, dass sie allein an Nährstoff- und Sauerstoffmangel sterben – nicht etwa am Nano-Effekt. Und – selbst die sorgfältigste Untersuchung bleibt wertlos, wenn die eingesetzten Partikel zuvor nicht genauestens charakterisiert wurden. Manche Forscher haben sich diese Vorarbeit schlicht erspart und nehmen die Partikel «wie vom Hersteller geliefert». Wissenschaftlich nachprüfbar sind solche Versuche nicht, mahnt Krug an.
Die Lösung: Ringversuche mit Standardmaterialien
Die Empa arbeitet daher gemeinsam mit Forschern des «Powder Technology Laboratory» der EPFL, mit Industriepartnern und mit dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) an einer Lösung des Problems: Am 9. Oktober startete das vom Kompetenzzentrum des ETH-Bereiches CCMX unterstützte «NanoScreen»-Programm, ein Projekt im Rahmen der «CCMX Materials Challenges», welches in den nächsten Jahren unter anderem ein Set prä-validierter Methoden für Laborversuche hervorbringen soll. Dazu werden Testmaterialien verwendet, die eine eng definierte Grössenverteilung besitzen, gut dokumentierte biologische und chemische Eigenschaften haben und in bestimmten Parametern veränderbar sind – etwa in der Oberflächenladung. «Mit Hilfe dieser Methoden und Testsubstanzen können internationale Labors ihre Versuche dann gegenseitig vergleichen, verifizieren und wenn nötig verbessern», erläutert Peter Wick, Leiter der Empa-Abteilung «Materials-Biology Interactions».
Statt des bisherigen «Stocherns im Nebel» gebe es dann die Chance auf international abgestimmte Forschungsstrategien, um das Gefahrenpotential neuer Nanopartikel nicht nur nachträglich abzuklären, sondern sogar voraussagen zu können. Die Schweizer Teams koordinieren ihre Forschungsaktivitäten daher auf internationaler Ebene mit dem «National Institute of Standards and Technology» (NIST) in den USA, dem «Joint Research Center» (JRC) der Europäischen Kommission und dem «Korean Institute of Standards and Science» (KRISS).