Multiple Sklerose: Den Therapieerfolg vorhersagen

06.01.2014 - Deutschland

Menschen mit Multipler Sklerose leiden häufig unter einer Gangstörung. Ein Medikament das ihnen helfen kann, wirkt allerdings nur bei weniger als der Hälfte der Patienten. Mediziner der Neurologischen Uniklinik Würzburg haben jetzt eine Methode entwickelt, den Behandlungserfolg vorherzusagen.

Bei Menschen, die an einer Multiplen Sklerose (MS) erkrankt sind, finden sich Entzündungsherde in Gehirn und Rückenmark, die in Abhängigkeit von ihre Lage und Größe mehr oder weniger schwere Symptome hervorrufen. Viele Patienten leiden unter einer Gangstörung, die sie im Alltag stark einschränkt. Mittel der Wahl ist in diesem Fall der Wirkstoff Fampridin, der seit 2011 in Deutschland zugelassen ist. Er blockiert Kaliumkanäle auf der Oberfläche von Nervenzellausläufern und kann damit die Leitfähigkeit der Nervenfasern verbessern. Viele Betroffene können nach der Einnahme von Fampridin wieder schneller gehen; gleichzeitig berichten sie, dass sie sich beim Gehen sicherer fühlen.

Allerdings haben Studien bereits vor der Zulassung von Fampridin gezeigt, dass weniger als die Hälfte der Patienten mit MS tatsächlich von der Einnahme des Präparates profitieren. Bei den übrigen ändert sich ihre Gehfähigkeit nicht. Deshalb müssen Ärzte heute das Medikament ihren Patienten erst einmal für zwei Wochen zur Probe geben. Nur wenn sich die Gehfähigkeit nach dieser Zeit deutlich verbessert hat, dürfen sie das Mittel dauerhaft verschreiben.

Magnetstimulation zur Vorhersage des Therapieerfolgs

Eine Methode, den Therapieerfolg vorherzusagen, haben jetzt Wissenschaftler der Universität Würzburg entwickelt. Das Team um die Mediziner Dr. Daniel Zeller und Dr. Mathias Buttmann setzt dafür auf die sogenannte transkranielle Magnetstimulation – eine schmerzlose Untersuchungstechnik, die ohne den Einsatz schädlicher Strahlen arbeiten und die schon seit vielen Jahren bei klinischen Routinemessungen verwendet wird. Die Ergebnisse ihrer Arbeit haben die Forscher im Journal of Neurology, Neurosurgery and Psychiatry veröffentlicht.

„Wir haben den Zusammenhang zwischen der Leitgeschwindigkeit motorischer Bahnen im zentralen Nervensystem und dem Ansprechen der Gangstörung auf Fampridin bei Patienten mit MS genauer untersucht“, beschreibt Daniel Zeller die Studie. Ihre Ergebnisse sind eindeutig: „Mit Hilfe der Magnetstimulation lässt sich bereits im Voraus sagen, ob Fampridin bei dem jeweiligen Patienten eine Verbesserung der Gehfähigkeit bewirkt“, so der Mediziner.

Die Studie

20 an MS erkrankte Patienten haben die Wissenschaftler in dieser Studie untersucht. Vor dem Behandlungsbeginn mit Fampridin haben sie mit Hilfe der transkraniellen Magnetstimulation die sogenannte zentralmotorische Latenz (ZML) bestimmt. Das ist die Zeit, die ein elektrischer Impuls benötigt, um von der Hirnrinde bis zur Nervenwurzel auf Höhe der Wirbelsäule zu gelangen. „Die zentralmotorische Latenz spiegelt in erster Linie den Schädigungsgrad motorischer Bahnen infolge entzündlicher Entmarkungsherde wider“, erklärt Zeller.

Ebenfalls vor Behandlungsbeginn sowie zusätzlich am Tag 14 der Einnahme von Fampridin haben die Wissenschaftler die Gehgeschwindigkeit ihrer Studienteilnehmer gemessen. Erst wenn die Geschwindigkeit über zwei verschiedene Distanzen um mindestens 20 Prozent gestiegen war, werteten sie dies als Therapieerfolg.

Die Ergebnisse

Dabei zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen der ZML und der Änderungen der Gehgeschwindigkeit während der Einnahme von Fampridin: Je deutlicher die ZML vor Therapie verlängert war, desto besser sprachen die Patienten auf das Medikament an. Darüber hinaus war die durchschnittliche ZML vor Therapiebeginn in der Gruppe der Therapie-Ansprecher (Responder) signifikant höher als bei denjenigen Patienten, die nicht auf Fampridin ansprachen (Non-Responder). Dasselbe Ergebnis zeigte sich auch, als die Wissenschaftler das Ansprechkriterium auf eine zehnprozentige Verbesserung in beiden Gehstrecken lockerten.

Zusammengefasst zeigt die Studie: Allen Patienten mit einer normalen ZML brachte die Einnahme von Fampridin keine Verbesserungen der Gehgeschwindigkeit. Alle Teilnehmer, bei denen das Medikament Wirkung zeigte, hatten vor Beginn der Therapie eine verlängerte ZML. Und nur bei einem Teil der Patienten mit einer verlängerten ZML blieb die Fampridin-Therapie erfolglos.

„Dieses Ergebnis ist gut mit dem vermuteten Wirkmechanismus von Fampridin vereinbar“, sagt Daniel Zeller. Schließlich verbessert der Wirkstoff die Reizleitung in zentralen Leitungsbahnen und deren Leitgeschwindigkeit.

Insbesondere aber weist die Studie darauf hin, dass MS-Patienten mit einer normalen zentralen Leitungszeit höchst wahrscheinlich nicht von Fampridin profitieren werden, während eine ZML-Verlängerung vor Therapiebeginn die Chance auf ein Ansprechen erhöht. Sollten sich diese Ergebnisse im Rahmen einer größeren Studie bestätigen, könnte die Magnetstimulation für Neurologen im klinischen Alltag nützlich sein, die Chancen eines Therapieversuches mit Fampridin bereits im Voraus abzuschätzen und dadurch unnötige Behandlungsversuche mit Fampridin zu vermeiden.

Stichwort Transkranielle Magnetstimulation

Bei der Transkraniellen Magnetstimulation legen Ärzte eine ringförmige Magnetspule im Bereich des Schädels an. Diese Spule erzeugt ein sich rasch änderndes Magnetfeld, das magnetische Impulse durch die Schädeldecke ins Gehirn schickt. Dort löst es in den Neuronen ein Aktionspotential aus, die Nervenzelle leitet einen Impuls weiter, der sich wiederum von außen messen lässt. Auch wenn die Technik erst wenige Jahrzehnte alt ist, kommt sie inzwischen in Forschung und Diagnostik routinemäßig zum Einsatz.

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