Faszinierende Einblicke in den "Maschinenraum" der Proteinfabrik
Forschungszentrum Jülich
Ribosomen sind molekulare Hochleistungsmaschinen. Sie fertigen nach den in der DNA codierten Bauplänen Proteine – die universellen Werkzeuge aller Zellen. Proteine empfangen und übermitteln Signale, transportieren zelluläre Fracht oder sorgen für Wachstum und Bewegung. Für die Proteinproduktion muss zunächst eine Arbeitskopie der DNA erzeugt werden – die sogenannte Boten-RNA. Wie ein Fließband wird die Boten-RNA durch das Ribosom hindurchgeschleust. Dabei wird es in Schritten von jeweils drei Nukleinsäurebasen abgetastet. Die Tripletts werden wiederum von den passenden Aminosäure-Transportern, sogenannten Transfer-RNAs oder kurz tRNAs, abgelesen, die eine bestimmte Aminosäure binden. Die Aminosäuren werden nacheinander zu einer Kette zusammengesetzt und ergeben schließlich ein neues Proteinmolekül.
Wissenschaftlern vom Göttinger Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie war es vor Kurzem gelungen, hoch aufgelöste Momentaufnahmen dieses Prozesses mit einem Elektronenmikroskop aufzunehmen. Ihre 50 Strukturen des Ribosoms in verschiedenen Zuständen der Proteinsynthese zeigen, welchen Weg die tRNAs während der Proteinproduktion durch das Ribosom nehmen und wo sie andocken. Ein Forscherteam aus Göttingen, Jülich und Düsseldorf hat mit Computersimulationen die einzelnen Schnappschüsse jetzt in eine zeitliche Reihenfolge gebracht und untersucht, wie sich die tRNA-Moleküle auf ihrem Weg durch das Ribosom bewegen und welche molekularen Kräfte dabei wirken.
Gunnar Schröder, Leiter einer Nachwuchsgruppe am Forschungszentrum Jülich und Juniorprofessor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, erklärt: "Damit haben wir es erstmals geschafft, aus einzelnen Elektronenmikroskopie-Aufnahmen mithilfe von Computersimulationen einen vollständigen Bewegungsablauf im Ribosom zusammenzusetzen." Schröder hat aus den früheren elektronenmikroskopischen Aufnahmen die atomaren Modelle erstellt, auf denen die aktuellen Computersimulationen basieren. Helmut Grubmüller, Direktor am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen, betont: "Nun sehen wir nicht nur, welche Prozesse im Inneren der Proteinfabrik ablaufen, sondern auch, durch welche Kräfte diese Prozesse angetrieben werden." Das Ergebnis dieser Arbeit ist eine "Filmsequenz" – direkt aus dem "Maschinenraum" der Proteinfabrik.
Die neuen detaillierten Einblicke des Forscherteams in den "Maschinenraum" der Ribosomen sind auch für die Medizin von Bedeutung. Bestimmte Antibiotika bekämpfen Krankheitserreger deshalb so wirksam, weil sich Ribosomen von Bakterien und höheren Organismen in wichtigen Details unterscheiden. Solche Antibiotika hemmen nur die bakterielle Proteinfabrik; die Ribosomen höherer Zellen dagegen bleiben verschont. Um zukünftig neue Antibiotika entwickeln zu können, ist ein genaues Verständnis der Struktur und Funktion des Ribosoms eine unerlässliche Grundlage.