Wie die Zelle nicht die Fäden verliert

Forscher klären wichtigen Mechanismus auf, wie Chromosomen in Eizellen mithilfe eines neuen Motorproteins exakt aufgeteilt werden

04.06.2013 - Deutschland

Bevor Ei- und Samenzelle sich vereinen und daraus neues Leben entsteht, müssen sie ihren Chromosomensatz halbieren. Werden Chromosomen dabei zu früh getrennt oder ungleich auf die Tochterzellen verteilt, drohen Chromosomenanomalien wie das Down-, Klinefelter- oder Turner-Syndrom. Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen haben jetzt am Modell des Krallenfrosches aufgeklärt, wie die Zelle die präzise Verteilung der Chromosomen mithilfe eines kleinen molekularen Motorproteins namens NabKin sicherstellt.

© Matthias Samwer, Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie

Chromosomen im Zellkern einer Eizelle des Afrikanischen Krallenfrosches während der Meiose. Zusammengehörige Chromosomen sind, wie für die Meiose typisch, an Kreuzungspunkten miteinander verknüpft. Die Färbung stellt die Tiefe im Zellkern dar.

Trisomie21 – auch bekannt als Down-Syndrom – ist der häufigste Chromosomenfehler bei Neugeborenen. In Deutschland leben rund 50 000 Betroffene; sie haben das Chromosom 21 dreifach statt doppelt. Auch Geschlechts-Chromosomen können in ihrer Anzahl variieren – mit fatalen Folgen. Männer, die ein zusätzliches X-Chromosom besitzen, leiden unter dem Klinefelter-Syndrom. Frauen, die eines zu wenig haben, erkranken am Turner-Syndrom. Je nach Form und Ausprägung sind die Betroffenen in ihrer geistigen Entwicklung verlangsamt. Sie leiden unter verschiedenen Fehlbildungen und ihre Lebenserwartung ist geringer. Aber nicht nur einzelne Chromosomen können in der Anzahl variieren, auch der gesamte Chromosomensatz kann in mehrfacher Kopie vorliegen. Wissenschaftler bezeichnen dies als Polyploidie. In solchen Fällen kommt es nach der Befruchtung bereits im frühen Stadium zu einer Fehlgeburt. Forscher am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie haben jetzt am Modell des Afrikanischen Krallenfrosches (Xenopus laevis) aufgeklärt, wie ein neues Motorprotein namens NabKin solche Polyploidie während der Zellteilung verhindert.

Chromosomenanomalien entstehen, wenn Zellen sich fehlerhaft teilen. Wenn Ei- und Samenzellen im Laufe der sogenannten Reifeteilung (Meiose) ihren Chromosomensatz halbieren, erfolgt dies nach strenger Choreografie. Zunächst müssen sich die in den Keimzellen vorhandenen Chromosomenpaare gegenseitig erkennen und verbinden. Dabei wird genetisches Material ausgetauscht. Danach weichen die Chromosomen auseinander, die Zelle teilt sich. In der zweiten Reifeteilung trennen sich Chromosomen nochmals in ihre beiden Spalthäften (die Chromatiden), gefolgt von einer weiteren Zellteilung. Vier Tochterzellen mit einfachem Chromosomensatz – genetisch alle unterschiedlich – sind das Ergebnis dieses hochkomplexen, streng regulierten Prozesses. Maßgeblich daran beteiligt ist das Zytoskelett der Zelle. Diese zellulären „Verkehrsnetze“ bestehen aus langen Proteinsträngen von Aktinfilamenten und Mikrotubuli, die sich wie Eisenbahnschienen ihren Weg durch das Zellinnere bahnen. Über diese Schienen wird mithilfe von Motorproteinen auch der zelluläre Lastverkehr abgewickelt.

Motorproteine übernehmen ebenfalls eine fundamentale Rolle bei der Zellteilung. Dirk Görlich, Leiter der Abteilung „Zelluläre Logistik“, hat jetzt mit seinem Team gezeigt, wie das NabKin-Motorprotein in Krallenfrosch-Eizellen dafür sorgt, dass jeweils ein vollständiger Chromosomensatz auf die Tochterzellen verteilt wird. „Zu unserer großen Verblüffung machte NabKin für ein Motorprotein etwas äußerst Ungewöhnliches“, erinnert sich Görlich. Er erklärt: „NabKin nutzt beide Verkehrssysteme der Zelle. Es bindet sowohl an Aktinfilamente als auch an Mikrotubuli. Wir vermuten, dass es beide Schienensysteme miteinander verknüpft und dafür sorgt, dass sie während der Zellteilung koordiniert zusammenarbeiten.“ Hemmten die Wissenschaftler während der Meiose die Bindung von NabKin an Aktinfilamente, verlief die Zellteilung fehlerhaft, mehrfache Chromosomensätze in der Eizelle waren die Folge.

Pilz-Gift im Einsatz für die Forschung

Auf die Spur des NabKin-Motorproteins brachte Görlichs Team ein Gift, das unerfahrene Pilzsucher fürchten: Phalloidin, eines der Toxine aus dem Grünen Knollenblätterpilz (Amanita phalloides). Es greift Aktinfilamente an und bindet diese äußerst stark. Forscher machen sich dies bereits seit Längerem zunutze, um Aktinfilamente in lebenden Zellen sichtbar zu machen. Matthias Samwer, Doktorand in der Abteilung „Zelluläre Logistik“, entwickelte mithilfe von Phalloidin eine neue, äußerst sensitive Methode, mit der sich Aktin-bindende Proteine aufspüren und identifizieren lassen. Zellkerne aus Eizellen des Afrikanischen Krallenfrosches erwiesen sich dabei als ideales Forschungsobjekt. In molekularen Dimensionen sind diese Zellkerne riesig. Sie besitzen ein 100 000 mal größeres Volumen als die Zellkerne unserer Körperzellen. Die Giganten unter den Eizellen müssen daher durch ein Kernskelett aus Aktin mechanisch stabilisiert werden. „Ein solches Skelett im Inneren eines Zellkerns ist eine äußerst ungewöhnliche Struktur. Wie es aufgebaut und organisiert wird, darüber wusste man zu Beginn unserer Studie kaum etwas“, erläutert Biologe Samwer. Das Aktin-Kernskelett war der Ausgangspunkt der Göttinger Wissenschaftler, um mit ihrer neuen Methode bisher unbekannte Bindungspartner von Aktin aufzuspüren. „Um aufzuklären, um welche Proteine es sich dabei handelt, haben wir die Massenspektrometrie eingesetzt. NabKin war der prominenteste neue Kandidat, den wir dabei entdeckt haben“, sagt Henning Urlaub, Leiter der Forschungsgruppe „Bioanalytische Massenspektrometrie“.

Ein enger Verwandter von NabKin, KIF14 genannt, kommt auch in den Zellen des Menschen vor. Auch KIF14 ist für die Zellteilung unentbehrlich: Über dieselben Mechanismen scheint es dafür zu sorgen, dass der Chromosomensatz präzise verteilt wird. „Wenn wir im Detail wissen, wie Eizellen sich teilen und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen, können wir auch etwas darüber lernen, wie Chromosomenanomalien entstehen und diese möglicherweise verhindert werden können“, hofft Görlich.

Originalveröffentlichung

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