Der Tanz der Bakterien

PTB-Mathematiker berechnen chaotische Bewegungen in sogenannten "aktiven Fluiden"

04.06.2013 - Deutschland

Es sieht aus wie eine ganz gewöhnliche Flüssigkeit und benimmt sich doch oftmals ungewöhnlich: ein aktives Fluid, bestehend aus einer großen Menge Bakterien und Wasser. Eine solche "Bakterienflüssigkeit" strömt dort, wo man laminare Strömungen erwarten sollte, chaotisch und mit Wirbeln durchsetzt. Forscher der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) und der Universität Cambridge (UK) haben jetzt gemeinsam ein theoretisches Modell entwickelt, mit dem sich solche Bewegungen berechnen lassen.

PTB

Darstellung von Geschwindigkeitsbahnen in der 3D Simulation. Der rote Pfeil zeigt kollektives Schwimmen, bei dem viele Bakterien sich gleichzeitig sehr schnell bewegen. Dies ist eine Eigenschaft, die sich bei "normalen" Flüssigkeiten nicht beobachten lässt.

PTB

Geschwindigkeitsfeld der aktiven Flüssigkeit. Dargestellt ist ein zweidimensionaler Schnitt aus einem dreidimensionalen Volumen. Die Farbkodierung entspricht der Wirbelstärke. Simulation

K. Drescher, Princeton

Geschwindigkeitsfeld der aktiven Flüssigkeit. Dargestellt ist ein zweidimensionaler Schnitt aus einem dreidimensionalen Volumen. Die Farbkodierung entspricht der Wirbelstärke. Experiment

PTB

Darstellung der Isoenergieflächen innerhalb der Simulationsbox in der turbulenten Phase.

PTB
PTB
K. Drescher, Princeton
PTB

Bakterien sind überall auf der Erde von immenser Bedeutung: Sie halten die Bodenstruktur aufrecht, kontrollieren die Biochemie und Photosynthese in den Ozeanen oder reinigen verseuchte Böden - um nur einige Beispiele zu nennen. Und doch ist über manche Eigenschaften dieser Organismen, die zu den ältesten und artenreichsten Lebensformen der Erde gehören, erstaunlich wenig bekannt. Dazu gehört auch ihr Fließverhalten. Um effizienter vorwärtszukommen, tun sich Bakterien nämlich gerne zusammen und machen sich gemeinsam auf die Reise. In hochorganisierten, kollektiven Schwarmbewegungen können sie große Entfernungen zurücklegen. Dieses Verhalten bietet große Vorteile gegenüber dem Leben als ein einzelnes Individuum: Eine ganze Kolonie von Bakterien hat es einfacher, in schwierigen Umgebungen zu überleben, Nahrung zu suchen oder neues Terrain zu erobern. Wenn sich eine solche Bakterienkolonie fortbewegt, dann ähnelt sie von außen betrachtet einer Flüssigkeit, weshalb man das Ganze auch "aktives Fluid" nennt. Doch wenn man das Fließverhalten genauer untersucht, dann offenbaren sich erstaunliche Unterschiede: Dort, wo eine echte Flüssigkeit laminar, also störungsfrei fließen würde, zeigen sich in der bakteriellen "Flüssigkeit" chaotische Strömungen und Wirbel. Es herrscht also letztlich eine ganz andere Fließdynamik. Das liegt daran, dass die Bewegung anders in Gang gebracht wird: Bei einer normalen Flüssigkeit sind es Einflüsse von außen, bei Bakterien dagegen stammt der Antrieb aus dem tiefen Inneren der Bakterienflüssigkeit, nämlich von den vielen Millionen Flagellen oder Geißeln. Das sind fadenförmige Gebilde auf der Bakterien-Oberfläche, die ihrer Fortbewegung dienen.

Dass sich Mathematiker der PTB mit Flüssigkeiten beschäftigen, hat einen triftigen Grund: Ihre Simulationsrechnungen könnten gleich für mehrere Industriezweige wichtig sein. So hat die Beschreibung normaler Flüssigkeiten durch die Navier-Stokes-Gleichung für die industrielle Anwendung eine enorme Bedeutung, wie an der Verwendung von Simulationen zur Fluid-Struktur-Wechselwirkung oder im Zusammenhang mit Durchflussmessungen sichtbar wird. Das Verständnis der neuartigen Klasse von aktiven Flüssigkeiten und die Simulation ihres Verhaltens stellen einen wichtigen ersten Schritt zu einer Vielzahl von Anwendungen dar. Beispielsweise könnten einer Flüssigkeit Mikroschwimmer zugefügt und so deren Fließeigenschaften gezielt manipuliert, effektiv durchmischt oder Medikamente im Körper transportiert werden. Obwohl das kollektive Verhalten von Mikroschwimmern Gegenstand der aktuellen Forschung ist, weiß man noch zu wenig über die Eigenschaften aktiver Fluide. Insbesondere sind die entwickelten Modelle sehr kompliziert und benötigen viele Parameter, was den quantitativen Vergleich mit Experimenten unmöglich macht.

PTB-Wissenschaftler und Wissenschaftler der University of Cambridge haben zusammen eine einfache Erweiterung der Navier-Stokes-Gleichung für aktive Flüssigkeiten vorgeschlagen, die auch ohne äußere Einflüsse instabil wird. Es werden dreidimensionale Simulationen (PTB) des Models mit Experimenten von dichten Bacillus-Subtilis-Suspensionen (Cambridge, Princeton) quantitativ verglichen. Erstmals konnten ein Modell mit experimentellen Daten verglichen und Modellparameter bestimmt werden. So lassen sich schwer zugängliche physikalische Größen wie z. B. die Elastizität oder anisotrope Viskosität der aktiven Flüssigkeit indirekt messen.

Die Ergebnisse der internationalen Forschergruppe werden sicherlich interessante neue Untersuchungen nach sich ziehen, um die Entstehung von kollektivem Verhalten noch eingehender kennenzulernen, und möglicherweise künftige praktische Anwendungen anstoßen.

Originalveröffentlichung

J. Dunkel (Cambridge), S. Heidenreich (PTB), K. Drescher (Princeton), H. H. Wensink (Paris), M. Bär (PTB), R. E. Goldstein (Cambridge): Fluid Dynamics of Bacterial Turbulence. Physical Review Letters 110, 228102 (2013)

Weitere News aus dem Ressort Wissenschaft

Weitere News von unseren anderen Portalen

Heiß, kalt, heiß, kalt -
das ist PCR!