Fresszellen bekämpfen Eindringlinge im Schwarm
Wolfgang Kastenmüller/Uni Bonn
Neutrophile Granulozyten, kurz „Neutrophile“, sind ein wichtiger Teil der Immunabwehr. Sie zählen zu den weißen Blutkörperchen und können als „Fresszellen“ zum Beispiel Eindringlinge zerstören und verletzte Gewebeteile verdauen. Neutrophile werden im Knochenmark gebildet und mit dem Blutstrom im Körper verteilt. „Wie Streifenpolizisten wachen sie darüber, ob etwa Krankheitserreger eingedrungen sind oder ob Gewebe zu Schaden gekommen ist“, berichtet Dr. Wolfgang Kastenmüller vom Institut für Molekulare Medizin und Experimentelle Immunologie der Universität Bonn. In der Blutbahn sind diese „Polizisten“ wie auf einer Autobahn besonders schnell unterwegs, sie können auf ihrer Jagd nach Erregern aber auch ins Gewebe eindringen.
Fresszellen reagieren wie die Polizei bei einem Großeinsatz
Während ihrer „Fahndung“ agieren die Neutrophilen wie die Polizei bei einem Großeinsatz: Hat eine der Fresszellen einen Erreger gefunden, ruft sie wie über Polizeifunk ihre Kollegen zur Hilfe. Daraufhin finden sich ganze Schwärme von Fresszellen zusammen, die gemeinsam die Eindringlinge bekämpfen. „Wie sich Neutrophile im Gewebe orientieren und diese faszinierenden Schwärme bilden, war zum Beginn unserer Arbeit weitgehend unbekannt“, berichten Dr. Tim Lämmermann und Dr. Ronald Germain, leitende Wissenschaftler dieser Studie an den National Institutes of Health in Bethesda (USA).
Deshalb untersuchte ein Team aus Wissenschaftlern des National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) und des National Cancer Institute (NCI) unter Beteiligung von Dr. Kastenmüller systematisch die molekularen Grundlagen dieses Neutrophilen-Schwarmverhaltens.
Nach den Ergebnissen der Wissenschaftler sind mehrere Moleküle an der Zusammenballung zu einem Schwarm beteiligt. Dabei kommt jedoch der Substanz „LTB4“, welche an einen Rezeptor an der Oberfläche der Fresszellen andockt, eine Schlüsselrolle zu. Bei LTB4 handelt es sich um ein Leukotrien, das Entzündungsreaktionen des Körpers einleitet und aufrechterhält. Die Neutrophilen können selbst das LTB4 ausschütten, um ihre Kollegen anzulocken. Umgekehrt nehmen die Fresszellen es über ihre Rezeptoren war, sobald ein anderer Neutrophile damit zur Hilfe ruft.
Filmaufnahmen mit Spezialmikroskopen
Die Forscher fahndeten nach der gesuchten Substanz, indem sie bei Mäusen systematisch Gene für die Ausbildung verschiedener Rezeptoren ausschalteten, die für die Wanderung dieser Zellen wichtig sind. An diese verschiedenen Rezeptoren docken jeweils Stoffe an, die wie ein Schlüssel ins Schloss passen. Mit speziellen Mikroskopen - sogenannten Zwei-Photonen-Mikroskopen - beobachteten die Forscher, wie sich Neutrophilen-Schwärme um einen 0,01 Millimeter kleinen hitzebedingten Schaden bildeten, und hielten dies als Filmaufnahmen fest. „Fehlte der Rezeptor für das LTB4, konnten wir kaum Schwarmverhalten beobachten, weil nur sehr wenige Neutrophile angelockt werden konnten – damit war uns klar, dass wir ein äußerst wichtiges Schlüssel-Schloss-Paar in der Signalkette gefunden hatten“, sagt Dr. Lämmermann.
Die Frage war, ob die Fresszellen bei einer Infektion genauso reagierten wie bei dem Hitzeschaden. Dr. Kastenmüller testete dies, indem er Mäusen Bakterien unter die Haut spritzte und mit den Spezialmikroskopen das Verhalten der Fresszellen im drainierenden Lymphknoten aufzeichnete. In den Filmaufnahmen ist deutlich zu erkennen, dass sich die leuchtend markierten Neutrophilen in Form eines Schwarms zusammenballen, wenn das LTB4 an die Fresszellen andockt.
Über die genaue Funktion des Neutrophilen-Schwarmverhaltens können die Forscher momentan nur spekulieren. „Die Zusammenballung zu einem Schwarm ermöglicht eine sehr hohe lokale Konzentration an antibakteriellen Wirkstoffen, die durch die Neutrophilen ausgeschüttet werden. Wir vermuten daher, dass somit der Verbreitung von Keimen entgegengewirkt wird“, sagt Dr. Kastenmüller. Interessanterweise lösen sich die Schwärme nach einiger Zeit wieder auf, um sich gelegentlich an anderen Stellen neu zu bilden. Möglicherweise wird auf diese Weise unerwünschter Gewebeschaden durch Neutrophile verhindert. „Es gibt noch viele offene Fragen. Mit unserer Studie haben wir einen ersten Schritt getan, dieses Neutrophilen-Verhalten im Gewebe ein wenig besser zu verstehen“, sagt Dr. Lämmermann. In zukünftigen Arbeiten wollen die Forscher weiter das Schwarmverhalten untersuchen und testen, ob man es therapeutisch manipulieren kann, um entweder die Immunabwehr zu stärken oder chronische Entzündungen zu lindern.