Blutplasma ist dicker als Wasser
Blut fließt anders als Wasser. Das weiß jeder, der sich schon einmal geschnitten hat: Blut strömt zäh, dickflüssig, sprunghaft. Der Vergleich mit Ketchup wird darum nicht nur beim Film gezogen. Die Experten sprechen bei Blut von einer „Schubspannungs-Flüssigkeit“ oder einer „nicht-Newtonschen“ Flüssigkeit – zu deren Paradebeispielen eben auch Ketchup zählt. Die Fachbegriffe stehen für Flüssigkeiten, deren Art zu fließen sich unter bestimmten Voraussetzungen verändert: Manche werden mehr, andere weniger zähflüssig. Blut wird – wie Ketchup – bei höherem Druck flüssiger. Hierdurch kann Blut auch in kleinsten Äderchen fließen. Wasser fließt demgegenüber immer gleich.
Bislang wurde angenommen, dass diese besonderen Fließeigenschaften des Blutes vor allem von den roten Blutkörperchen herrühren, die in hoher Konzentration von etwa 45 Prozent darin vorkommen. Das Blutplasma wurde eher als Schauplatz des Geschehens und nicht als aktiver Mitspieler angesehen. Seit Jahrzehnten ging die Forschung davon aus, dass Blutplasma wie Wasser fließt. Immerhin besteht diese Flüssigkeit, in der die Blutzellen schwimmen, tatsächlich zu rund 92 Prozent aus Wasser. Jetzt belegen Ergebnisse von Forschern der Saar-Universität und der University of Pennsylvania, dass auch das Plasma „ein ganz besonderer Saft“ ist und den Blutfluss entscheidend beeinflusst: Ihre Forschungen zeigen, dass Blutplasma selbst eine nicht-Newtonsche Flüssigkeit ist.
Das komplexe Fließ- und Strömungsverhalten des Blutplasmas könnte nach den neuen Erkenntnissen eine entscheidende Rolle bei Ablagerungen an Gefäßwänden, Aneurysmen oder Thrombosen spielen. Die Forschungsergebnisse können daher helfen, solche pathologischen Vorgänge am Computer zu simulieren.
Die Forschergruppe des Experimentalphysikers Christian Wagner und des Ingenieurwissenschaftlers Paulo E. Arratia haben das Fließ- und Strömungsverhalten des Blutplasmas in Experimenten nachgewiesen. An der Saar-Universität wurden so genannte Tropfenexperimente durchgeführt. Blutplasma wurde hierzu in speziellen Versuchsaufbauten zum Tropfen gebracht beziehungsweise zwischen zwei Platten platziert und diese auseinandergezogen. Die Forscher analysierten die Vorgänge unter Einsatz von Hochgeschwindigkeitskameras mit hochauflösenden Mikroskop-Objektiven. „Bei unseren Versuchen haben wir eine Fadenbildung, also eine Dehnungsviskosität des Blutplasmas festgestellt, die bei Wasser nicht vorkommen kann“, erklärt Professor Wagner. Das Plasma zeigt „viskoelastische“ Eigenschaften, das heißt, es verformt sich elastisch und ist zähflüssig und bildet dabei für nicht-Newtonsche Flüssigkeiten typische Fäden.
Mit Mitteln der Mikrofluidik wurde an der University of Pennsylvania gearbeitet: Prof. Arratia und sein Team entwickelten ein Modell eines Mikrogefäßsystems und untersuchten das Fließverhalten des Plasmas. Ihre Messungen ergaben, dass Blutplasma ein anderes Fließverhalten als Wasser zeigt und darüber hinaus einen deutlich größeren Strömungswiderstand vorweisen kann. „Diese Erkenntnisse wurden auch möglich durch neu entwickelte mikrofluidische Messgeräte, die empfindlich genug sind, um die feinen Unterschiede im Fließverhalten von nicht-Newtonschen Flüssigkeiten zu messen“, erläutert Professor Arratia.
In Untersuchungen des Strömungsverhaltens des Blutplasmas konnte Professor Wagner mit seinem Team außerdem nachweisen, dass das Plasma Verwirbelungen im Blut beeinflusst. Diese könnten zum Beispiel Ablagerungen und in deren Folge etwa Thrombosen verursachen. In einem Versuch ließen die Forscher Plasma durch eine Engstelle fließen wie bei einer Gefäßverengung oder einem „Stent“, das ist ein medizinisches Implantat, das zur Stütze in Blutgefäße eingebracht wird: Sie stellten Verwirbelungen am Ende der Verengung, aber auch am Beginn der Engstelle fest, die durch die viskoelastischen Eigenschaften des Blutplasmas ausgelöst werden.
Originalveröffentlichung
M. Brust, C. Schaefer, R. Doerr, L. Pan, M. Garcia, P. E. Arratia, and C. Wagner (2013): "Rheology of human blood plasma: Viscoelastic versus Newtonian behavior", Phys. Rev. Lett., 110, 078305 (2013)