Pillen, Diät oder psychologisches Training
Wirksamkeit von nicht-medikamentösen ADHS-Therapien untersucht
Sechs nicht-medikamentöse ADHS-Therapien im Test
In die Meta-Analyse gingen Daten von 54 Studien mit insgesamt rund 3000 Patienten ein. Erstmals betrachteten die Wissenschaftler mehrere nicht-medikamentöse Therapien auf einmal. Sie untersuchten zum einen, was passierte, wenn die Betroffenen ihre Ernährung auf drei Arten umstellten: keine künstlichen Lebensmittelfarben, mehr Omega 3-Fettsäuren oder eine spezielle Diät ohne Lebensmittel, gegen die die ADHS-Patienten eine Unverträglichkeit besaßen. Zum anderen prüfte das Team Effekte von drei psychologischen Ansätzen: kognitives Training, zum Beispiel des Arbeitsgedächtnisses, Verhaltenstherapie und Neurofeedback. Bei letzterer Methode visualisieren Ärzte die Hirnaktivität, um dem Patienten beizubringen, diese zu modifizieren und so Aufmerksamkeit und Impulskontrolle zu steigern.
Großer Unterschied zwischen verblindeten und nicht verblindeten Studien
Die Wissenschaftler analysierten, ob sich die ADHS-Kernsymptome - Impulsivität, schlechte Aufmerksamkeit, motorische Unruhe - durch die jeweilige Therapie besserten. Sie unterschieden dabei zwischen "verblindeten" und "nicht verblindeten" Studien. Verblindet bedeutet, dass die Person, die die Kernsymptome beurteilt, nicht weiß, ob der Patient in der Plazebogruppe war oder eine Therapie erhielt. Nicht verblindete heißt hingegen, dass der Beurteiler weiß, ob der Patient eine Therapie bekam oder nicht. In nicht verblindeten Studien hatten alle sechs Therapien einen signifikanten Effekt auf die ADHS-Kernsymptome. In verblindeten Studien zeigten aber nur die Diäten ohne künstliche Lebensmittelfarben und mit Omega 3-Fettsäuren Wirkung - doch die Effekte waren klein. "Verblindete Studien sind wissenschaftlich aussagekräftiger", sagt Martin Holtmann. Denn wenn ein Beurteiler weiß, dass ein Patient eine Therapie bekommt, erwartet er oft eine Besserung. Das kann das Urteil trüben.
Die Datenlage ist zu dünn
"Mit den Ergebnissen können wir weder belegen, dass die Therapien wirken, noch dass sie nicht wirken", resümiert Prof. Holtmann. Um eine eindeutige Aussage treffen zu können, müssen dringend mehr verblindete Studien her. Für die Neurofeedback-Therapie fanden sich zum Beispiel überhaupt nur acht Studien, von denen lediglich vier verblindet waren. "Außerdem haben die Studien nur die drei Kernsymptome erfasst: impulsiv, unaufmerksam, unruhig", gibt Holtmann zu bedenken. "Man muss breiter schauen". ADHS beeinflusst nämlich auch die Lebensqualität und das Selbstwertgefühl. "Eventuell wirken die nicht-medikamentösen Therapien auf diese Bereiche." Da viele Eltern keine medikamentöse Behandlung wünschen oder diese aufgrund von Nebenwirkungen nicht möglich ist, sind andere Therapieformen essenziell. Letztere zu untersuchen, ist laut Holtmann aber nicht so einfach. Denn anders als bei Medikamentenstudien sei eine Unterstützung durch finanzkräftige Firmen selten. Die Forscher der LWL-Klinik Hamm unternehmen zurzeit allerdings einen ersten Schritt, um die Datenlage zu verbessern. Unter ihrer Leitung und gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft entsteht die bisher größte verblindete Studie zur Wirksamkeit von Neurofeedback mit 150 Kindern, die von ADHS betroffen sind.