Gift für Krebszellen

Eine neue Methode identifiziert Wirkstoffe in Mischungen hunderter Substanzen

04.01.2013 - Deutschland

Ein hochwirksames Gift tötet die Larve des Gartenlaubkäfers, wenn der Fadenwurm Heterorhabditis seine Eier in ihr ablegt. Bisher war es ein Rätsel, warum die viel größeren Larven absterben, während die Fadenwürmer die Giftattacke unbeschadet überstehen. Wissenschaftlern der Technischen Universität München (TUM) gelang es nun, das Geheimnis zu lüften. Das von ihnen dafür entwickelte Verfahren könnte auch für die Suche nach neuen pharmazeutisch wirksamen Substanzen von großem Nutzen sein.

Auf der Suche nach Wirksubstanzen für neue Medikamente testen Pharmaforscher in aller Welt Millionen von Substanzen. Um geeignete Moleküle zu identifizieren, verwenden sie gerne Farbreaktionen. Doch in stark farbigen Lösungen oder bei Mischungen vieler Substanzen versagen diese Tests. Im Rahmen seiner Doktorarbeit entwickelte Martin Stein, Mitarbeiter am Lehrstuhl für Biochemie der TU München, eine Testreaktion auf Basis der Kernmagnetresonanzmessung. Sie findet einen gesuchten Pharmawirksoff selbst in trüben Bakterienbrühen unter Hunderten verschiedener Substanzen.

Als Testreaktion verwendete er den Abbau einer kurzen Aminosäurekette durch das Proteasom. Wie eine Recyclinganlage zerlegt dieses lebenswichtige Zelleiweiß überflüssige Proteine in kleine Stücke. Um die Reaktion verfolgen zu können, baute er in die Aminosäurekette ein besonderes Kohlenstoffatom ein: Weil es ein Neutron mehr besitzt als normaler Kohlenstoff, können die Wissenschaftler an seinem Kernmagnetresonanzsignal ablesen, ob die Kette gespalten wurde. Verschiebt sich das Signal dieses C-13-Kohlenstoffatoms, ist das Proteasom aktiv und zerlegt die Aminosäurekette. Verändert es sich dagegen nicht, so war eine Substanz in der Lösung, die die Arbeit des Proteasom unterbunden hat.

Krebszellen ersticken im Müll

Genau solche Substanzen sucht die Pharmaindustrie, um sie unter anderem gegen Krebs einzusetzen. Denn blockiert man das Proteasom, so ersticken die schnell wachsenden Krebszellen an ihrem eigenen Müll. Das erste Medikament dieser Art erzielt bereits einen Jahresumsatz von mehr als einer Milliarde US-Dollar. Nun suchen die Wissenschaftler nach weiteren, nebenwirkungsärmeren Wirkstoffen.

Ein potenzieller Kandidat war Vorstudien zufolge ein Giftstoff, den das Bakterium Photorhabdus luminescens produziert. Er ist es, der die Larven des Gartenlaubkäfers tötet. Wie die Forschergruppe mit ihrer neuen Methode herausfand, lebt das Bakterium zunächst inaktiv im Darm des Fadenwurms. Bei der Eiablage infiziert der Wurm die Larve. Der plötzliche Wechsel der Umgebung veranlasst das Bakterium zur Giftproduktion. Ist die Larve tot, stellt das Bakterium die Giftproduktion wieder ein. Nun schlüpfen die bis dahin in der Eihülle geschützten Fadenwürmer. Beim Fressen der Larve nehmen sie das inaktive Bakterium in ihren Darm auf, und der Kreislauf kann von vorne beginnen.

Anders als herkömmliche Tests funktioniert die neu entwickelte Messmethode auch in stark gefärbten Lösungen und in Anwesenheit Hunderter anderer Substanzen. So gelang es der Arbeitsgruppe am Lehrstuhl für Biochemie, das bis dahin unbekannte Gift direkt aus der Bakterienbrühe zu isolieren: Es handelte sich um zwei strukturell sehr ähnliche Verbindungen, Cepafungin I und Glidobactin A. Letzteres galt bis dahin als der stärkste bekannte Proteasomblocker. Cepafungin war trotz seiner Ähnlichkeit noch nie auf seine Eignung als solcher getestet worden. Die Tests der Forschergruppe zeigten nun, dass Cepafungin I tatsächlich ein starker Proteasomhemmer ist. In seiner Wirkung übertrifft es sogar den bisherigen Rekordhalter.

Produktion durch Bakterien

Die Herstellung komplizierter pharmazeutischer Naturstoffe mit Hilfe von Bakterien gilt als Königsweg der Pharmaproduktion. Doch leider gibt es einen Haken: Wie im Falle des Bakteriums Photorhabdus luminescens werden die gesuchten Naturstoffe meist nur in einer bestimmten Phase des bakteriellen Lebenszyklus in nennenswerten Mengen produziert. Die neue Methode bringt auch hier einen entscheidenden Vorteil: „Ein Messdurchgang dauert etwa 15 Minuten, pro Tag können wir also knapp 100 Proben vermessen“, sagt Martin Stein. „Damit können wir sehr schnell herausfinden, unter welchen Bedingungen das Bakterium mit der Herstellung des Wirkstoffs beginnt“.

In der Natur scheint es dieses Wirkprinzip an vielen Stellen zu geben: Auch andere Bakterien, wie etwa der Pflanzenschädling Pseudomonas syringae, bauen auf die tödliche Wirkung eines Proteasomhemmers. Befällt das Bakterium eine Bohnenpflanze, so färben sich die Blätter braun und sterben ab. Dahinter steckt der Wirkstoff Syringolin A. Er besitzt ein den Wirkstoffen Cepafungin I und Glidobactin A sehr ähnliches Grundgerüst. Er hemmt das Proteasom der Pflanzenzelle und blockiert damit die Abwehr der Pflanze gegen den Schädling.

„Wir haben aus diesen Untersuchungen eine wichtige Erkenntnis gewonnen“, sagt Prof. Michael Groll, der Leiter der Arbeitsgruppe. „Die Natur hat das Grundgerüst dieser Stoffe bereits auf den Einsatz gegen das Proteasom optimiert. Das funktioniert in der Pflanze wie im Insekt und auch bei uns Menschen. Bauen wir unsere Suche nach Wirkstoffen auf diesen Naturstoffen auf, können wir wertvolle Zeit bei der Medikamentenentwicklung sparen.“

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