Ein Schaltplan vom Mäusegehirn

Max-Planck-Wissenschaftler wollen das Gehirn einer Maus als Ganzes im Elektronenmikroskop analysieren

26.10.2012 - Deutschland

Was geschieht im Gehirn, wenn wir sehen, hören, denken, uns erinnern? Damit Neurowissenschaftler diese Fragen beantworten können, benötigen sie Informationen darüber, wie die Millionen von Nervenzellen des Gehirns miteinander verknüpft sind. Einem Gesamtschaltplan des Gehirns der Maus, einem wichtigen Modellorganismus der Neurowissenschaften, sind Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg nun einen entscheidenden Schritt näher gekommen. Die Forschergruppe um Winfried Denk hat eine Methode entwickelt, mit der sie das gesamte Gehirn einer Maus für ein spezielles Mikroskopieverfahren präparieren können. Damit lässt sich das Gewebe mit so hoher Auflösung untersuchen, dass die feinen Ausläufer fast jeder einzelnen Nervenzelle sichtbar werden.

© MPI f. medizinische Forschung

Mit der "Block-face"-Elektronenmikroskopie lassen sich große Gewebestücke untersuchen - hier das Corpus callosum, das die beiden Hälften des Großhirns miteinander verbindet. Aus vielen Einzelaufnahmen werden dann die Axone der Nervenzellen dreidimensional rekonstruiert.

Über ihre Ausläufer – die Axone – leiten Nervenzellen Informationen weiter und bilden dabei ein komplexes Verschaltungsnetzwerk, die Grundlage jeder Informationsverarbeitung im Gehirn. Dieses Netzwerk im Mikroskop zu analysieren, ist eine der größten Herausforderungen der Neurowissenschaften. Die meisten Axone sind weniger als einen Mikrometer dick, viele weniger als 100 Nanometer. „Nur die Elektronenmikroskopie ist hochauflösend genug, einzelne nebeneinander liegende Axone voneinander zu unterscheiden“, sagt Winfried Denk. Axone können aber trotz ihres winzigen Durchmessers sehr lang werden und von einem Ende des Gehirns zum anderen reichen. Um ein Gesamtbild eines Gehirns zu erhalten, müssen die Forscher daher möglichst große Gewebestücke analysieren.

Im Jahre 2004 entwickelten Wissenschaftler um Denk eine neue Methode, die genau dies ermöglicht: Die „serial block-face“-Rasterelektronenmikroskopie. Dafür muss das Gewebe fixiert, gefärbt, und in Kunststoff eingebettet werden. Das funktioniert für kleine Gewebestücke, war bisher aber bei Gewebe der Größe eines Mäusegehirns nicht möglich. In einer aktuellen Studie gelang es Shawn Mikula aus Denks Abteilung ein Mäusegehirn so zu präparieren, dass er es mit der „block-face“-Mikroskopie analysieren und den Axonen folgen konnte. In einem nächsten Schritt will die Max-Planck Arbeitsgruppe ein ganzes Gehirn im „serial block-face“-Mikroskop aufnehmen, um die neuronalen Verbindungen im gesamten Mäusegehirn zu untersuchen.

In ihrer neuen Arbeit zeigten die Heidelberger Forscher, dass sich das Gehirn einer Maus so präparieren lässt, dass es sich in seiner Gesamtheit mit der „block-face“-Elektronenmikroskopie analysieren lässt. Die Herausforderung für die Wissenschaftler war, ein großes Gewebestück so zu behandeln, dass es gleichmäßig bis ins Gewebeinnere gut fixiert und gefärbt ist. Die Wissenschaftler entwickelten ein komplexes Verfahren, bei dem das Gehirn über Tage hinweg in verschiedenen Fixier- und Färbelösungen behandelt wird.

Bei der Rasterelektronenmikroskopie wird die Oberfläche eines Gewebeschnitts mit einem Elektronenstrahl abgetastet. Ein einzelnes elektronenmikroskopisches Bild entspricht also einem Querschnitt durch das Gewebe. Um ein dreidimensionales Bild eines Gewebes zu erhalten, wird dieses bei herkömmlichen Verfahren in feine Schnitte geschnitten, die dann einzeln mikroskopiert werden. Das ist nicht nur mühsam, sondern auch fehlerträchtig. Die „block-face“-Mikroskopie umgeht dieses Problem. Hier wird das Gewebestück als Ganzes im Mikroskop eingespannt und die Oberfläche abgetastet. Erst dann wird jeweils eine dünne Schicht abgeschnitten, um anschließend die darunterliegende Schicht abzutasten. Dies erleichtert das Zusammensetzen der Daten im Computer.

In einer ersten Analyse der Methodik haben die Wissenschaftler die Axone von 50 zufällig ausgewählten Nervenzellen mit dem Auge verfolgt und per Hand markiert. Die Axone lassen sich mit dem Verfahren also eindeutig rekonstruieren. „Es würde aber viel zu lange dauern, sämtliche Nervenzellen auf diese Weise zu verfolgen, denn das Gehirn einer Maus besteht aus etwa 75 Millionen Nervenzellen“, sagt Denk. Die Bildauswertung muss deshalb automatisiert werden. „Unsere Bilder besitzen genügend Auflösung und Kontrast, um alle myelinierten Axone zu verfolgen. Wenn es uns nun gelingt, in den nächsten Jahren ein ganzes Gehirn abzutasten, sollte das ein großer Anreiz für Informatiker und Computerwissenschaftler sein, die nötigen Analysemethoden zu entwickeln.“

Eine genaue Karte der Verbindungen im Gehirn wird wesentlich zur Aufklärung neuronaler Funktionen beitragen. „Jede Theorie über die Gehirnfunktion basiert auf einer Vorstellung über die entsprechenden Informationswege im Gehirn. Ein Wissen über die Verbindungen zwischen den Knotenpunkten ist sehr wichtig, damit wir zwischen verschiedenen Modellen der Gehirnfunktion unterscheiden können“, erklärt Denk.

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