Hören: weiteres Puzzleteil des Hörsystems entdeckt

19.09.2012 - Deutschland

Mindestens 100 Gene soll es geben, die vorwiegend für das Hören benötigt werden. Defekte an diesen Genen führen zu isolierten Schwerhörigkeiten und in einigen Fällen darüber hinaus zu Sehstörungen. Bisherige Untersuchungen erblicher Schwerhörigkeiten haben viel zum Verständnis von Hören und Schwerhörigkeit beigetragen. Jetzt hat ein internationales Forscherteam in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus der Abteilung Hals-Nasen-Ohrenheilkunde der Universitätsmedizin Göttingen ein weiteres „Hör-Gen“ identifiziert. Die Forschungsergebnisse wurden in The American Journal of Human Genetics veröffentlicht.

Bevor ein Ton wahrgenommen werden kann, muss die Schallinformation, die in das Ohr eintrifft, in Nervensignale umgewandelt werden, die dann bis zum Gehirn weitergeleitet werden. Auf dem Weg dorthin müssen viele Faktoren präzise zusammenarbeiten, um die Information schnell und zuverlässig weiterzugeben. Dazu zählen auch viele Proteine, die unter anderem in Haarzellen verschiedenste Aufgaben übernehmen. Sind deren kodierende Gene von Defekten betroffen, kann es zu erblichen Schwerhörigkeiten kommen.

„Neu entdeckt haben wir jetzt, dass das Gen, welches für ein Kalzium-bindendes Protein kodiert, für das Hören essentiell ist“, sagt Dr. Sarah Helfmann, eine der beiden Erst-Autorinnen der Studie aus dem Innenohrlabor der Abteilung Hals-Nasen-Ohrenheilkunde der UMG. Dieses „Kalzium-bindende Protein 2“ (CaBP2), findet sich sowohl im Innenohr als auch in der Netzhaut des Auges. In den Haarzellen im Innenohr, so vermuten die Forscher, bindet dieses Protein normalerweise Kalziumionen, die durch einen Ionenkanal in die Zelle einströmen, und reguliert so die Funktion dieses Kalzium-Kanals.

Wie in den Nervenzellen führt das einströmende Kalzium auch in den Haarzellen dazu, dass der Botenstoff Glutamat freigesetzt wird. Anders als in Nervenzellen muss Glutamat von den Haarzellen während einer andauernden Schallstimulation aber fortwährend freigesetzt werden. Um dies zu erreichen, nutzen die Haarzellen offenbar das „Kalzium-bindende Protein 2“ (CaBP2). Das Protein verhindert vermutlich, dass sich die Kalzium-Kanäle bei fortwährender Stimulation schließen.

Doch was passiert, wenn das Protein CaBP2 seine Aufgabe wegen eines Gen-Defekts nicht mehr wahrnehmen kann? „Schon eine eigentlich kleine Veränderung (Mutation) an der falschen Stelle in der DNA führt dazu, dass ein wichtiger Teil von CaBP2 fehlt. Die betroffenen Menschen erleiden eine mittelschwere bis schwere Schwerhörigkeit. Die Erkrankung wird autosomal-rezessiv an die Nachfahren weitergegeben und ist sehr selten“, sagt Prof. Dr. Tobias Moser, Leiter des Innenohr-labors der Abteilung Hals-Nasen-Ohrenheilkunde.

Mit biochemischen Experimenten und Messungen von Ca2+-Strömen in kultivierten Zellen fanden die Forscher heraus, dass bei dem defekten Protein die Kalziumionen-Bindeeigenschaft verändert ist und es den Kalzium-Kanal nicht mehr ausreichend regulieren kann. Dies sei vermutlich die Ursache für die Schwerhörigkeit der Patienten.

Originalveröffentlichung

I Schrauwen, S Helfmann, A Inagaki, F Wolk, M A Tabatabaiefar, M M Picher, M Sommen et al.; " A Mutation in CABP2, Expressed in Cochlear Hair Cells, Causes Autosomal-Recessive Hearing Impairment."; The American Journal of Human Genetics 2012.

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