Brokkoli & Co.: Senföle als chemische Keule
Dietmar Geiger
Pflanzen produzieren eine große Vielfalt an Stoffen, die vom Menschen oft sehr geschätzt werden, wie Koffein oder ätherische Öle. Viele Pflanzenstoffe sorgen beim Essen für besondere Geschmackserlebnisse, viele gelten als gesund. Das trifft auch auf die Senföle zu, die den Senf scharf machen und Kohlgewächsen ihr besonderes Aroma verleihen.
Senföle stehen im Ruf, Krebs verhindern zu können. Darauf gibt es verschiedene Hinweise. „Von Broccoli ist beispielweise bekannt, dass seine Inhaltsstoffe das Bakterium Helicobacter pylori abtöten, das Magengeschwüre und Krebs auslösen kann“, sagt Professor Rainer Hedrich, Pflanzenwissenschaftler an der Uni Würzburg.
Senföle als Schutz gegen Feinde
Natürlich synthetisieren Pflanzen solche besonderen Inhaltsstoffe nicht, um den Menschen zu schützen. Vielmehr halten sie sich damit selbst Mikroben und andere Feinde vom Leib. Oft setzen sie ihre chemischen Keulen nur im Notfall ein. Die stechend riechenden und scharf schmeckenden Senföle etwa entstehen erst, wenn die Pflanze zum Beispiel durch ein fressendes Insekt verletzt wird. Erst dann kommen Vorstufen der Senföle, die Glucosinolate, mit einem Enzym in Kontakt, das die Senföle freisetzt. Diesen Effekt kennt jeder, der schon einmal in ein Radieschen gebissen hat.
Hungrige Insekten haben es vor allem auf die nahrhaften Blätter und Samen abgesehen. Kein Wunder also, dass die Pflanze in diesen Teilen besonders große Mengen von Glucosinolaten anhäuft. Die Blätter können die Abwehrstoffe selber produzieren, die heranreifenden Samen aber nicht. „Sie müssen die Glucosinolate importieren, und das geht nicht ohne spezielle Transportproteine“ so Professor Dietmar Geiger, Pflanzenphysiologe an der Uni Würzburg.
Perspektiven für die Agrarwirtschaft
Bislang war über diese lebenswichtigen Transporter und ihre Gene fast nichts bekannt. Doch ein Forschungsteam aus Kopenhagen, Würzburg und Madrid hat sie jetzt identifiziert. Die Ergebnisse könnten weitreichende Auswirkungen auf die Agrarwirtschaft haben.
Hedrich erklärt: „Nun steht der Weg offen, um gezielt Pflanzen zu züchten, deren Glucosinolat-Gehalte und Zusammensetzung auf die Gesundheit des Menschen zugeschnitten sind.“ Denkbar seien zum Beispiel Brokkoli-Pflanzen, die für die Bekämpfung des Magenbakteriums Helicobacter optimiert sind.
Wie die Ergebnisse zu Stande kamen
Als Analyseobjekt hat das internationale Forschungsteam die Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) verwendet. Das Erbgut dieser Modellpflanze ist vollständig bekannt; zudem ist sie eine „kleine Schwester“ von Kohl, Senf und Raps – auch sie enthält Glucosinolate samt deren Transportern.
Wie gingen die Wissenschaftler vor? Sie verwendeten zunächst einen zellbiologischen Ansatz. Eier des südafrikanischen Krallenfroschs dienten ihnen als „Reagenzglas“, um in einem Reihentest die Gene zu identifizieren, die für den Import und die Anhäufung von Glucosinolaten nötig sind. Am Ende machte das dänische Team zwei Gene dafür verantwortlich.
Nun waren die Transporter-Spezialisten aus Würzburg mit ihren biophysikalischen Untersuchungsmethoden an der Reihe, allen voran Professor Geiger. Sie klärten den Mechanismus, über den diese in der Zellmembran sitzenden Nanomaschinen ihre Energie beziehen und die Glucosinolate transportieren.
Zwischenzeitlich hatte Barbara Ann Halkier aus Kopenhagen eine Arabidopsis-Mutante isolierte, bei der beide Transporter nicht funktionieren: Die Pflanze hatte überhaupt keine Glucosinolate in den Samen. Damit war bewiesen, dass die Forscher tatsächlich den genetischen Code und die Funktion der Glucosinolat-Transporter entschlüsselt hatten, die für das Überleben senfölhaltiger Pflanzen so wichtig sind.
Das internationale Forschungsteam
Die Arbeitsgruppe um Professorin Barbara Ann Halkier an der Universität Kopenhagen gehört zu den Experten auf dem Gebiet des Glucosinolat-Stoffwechsels. Die Würzburger Professoren Rainer Hedrich und Dietmar Geiger sind Fachmänner für pflanzliche Transportproteine. Komplettiert wird die Expertenrunde von dem „Alt-Würzburger“ Pflanzenwissenschaftler Ingo Dreyer, der jetzt Professor an der Universität von Madrid ist.