Erbgutanalyse von Hirntumoren wegweisend für neue Behandlungsstrategien

30.07.2012 - Deutschland

Als Teil des Internationalen Krebsgenom-Konsortiums untersucht ein Verbund von Wissenschaftlern unter der Federführung des Deutschen Krebsforschungszentrums systematisch das Erbgut kindlicher Hirntumoren (Medulloblastome und pilozytische Astrozytome). Bereits bei der ersten Datenauswertung entdeckten die Forscher Erbgutveränderungen, die sowohl Angriffspunkte für neue Behandlungsstrategien aufzeigen, als auch Informationen darüber liefern, wie bereits verfügbare Medikamente gezielter eingesetzt werden können. Das Projekt wird von der Deutschen Krebshilfe und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt.

Hirntumoren sind Hauptursache der Krebssterblichkeit im Kindesalter. Selbst wenn eine Heilung erreicht werden kann, leiden die Kinder unter der belastenden Behandlung, die das heranwachsende Gehirn beeinträchtigen kann. Die häufigsten Hirntumoren bei Kindern sind das Medulloblastom und das pilozytische Astrozytom.

Um neue Zielstrukturen für schonendere Behandlungen zu entdecken, setzen Krebsforscher auf die systematische Analyse aller Erbgutveränderungen dieser Tumoren. Mit diesem Ziel trat 2010 der Forschungsverbund PedBrain-Tumor an, die erste deutsche Beteiligung am Internationalen Krebsgenom-Konsortium (ICGC). Der PedBrain-Tumor-Verbund, der von Prof. Peter Lichter aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und Prof. Roland Eils (DKFZ und Universität Heidelberg) koordiniert wird, veröffentlichte nun gemeinsam mit zahlreichen Kooperationspartnern die Auswertung der ersten 125 Erbgut-Analysen von Medulloblastomen.

„Wir sehen bereits jetzt, dass das Erbgut der Medulloblastome von Patient zu Patient große Unterschiede aufweist“, sagt Peter Lichter. „Aber es haben sich auch einige besonders häufige und charakteristische Erbgutveränderungen herauskristallisiert, die wegweisend für die Entwicklung neuer Diagnose- und Behandlungsmethoden sein können.“

Hirntumoren mit vierfachem Chromosomensatz besonders aggressiv

Ein hoher Prozentsatz – insbesondere unter den sehr bösartig verlaufenden – Medulloblastomen besitzt statt des normalen doppelten einen vierfachen Chromosomensatz. Medulloblastome werden je nach Aggressivität der Erkrankung in vier Gruppen eingeteilt. In den sehr schwierig zu behandelnden Tumoren der Gruppen 3 und 4 wies rund die Hälfte der untersuchten Tumoren diese Anomalie auf. „Es ist nicht erwiesen, dass die überzähligen Chromosomen den Krebs auslösen. Aber sie treten mit Sicherheit sehr früh im Verlauf der Krebsentstehung auf“, erläutert Lichter.

Zellen mit vierfachem Chromosomensatz wurden bereits bei mehreren Krebsarten gefunden. Diese Erbgutanomalie birgt jedoch zugleich die Chance, die Tumoren spezifisch anzugreifen: Im Deutschen Krebsforschungszentrum wird derzeit in Kooperation mit der Firma Bayer Healthcare ein Wirkstoff entwickelt, der ganz gezielt das Wachstum von Zellen bremst, die mehr als zwei Chromosomensätze haben.

Etwa ein Drittel aller Einzelmutationen beim Medulloblastom betrifft Gene, die für die so genannten epigenetischen Modifikationen eine Rolle spielen. „Dieser Befund unterstreicht erneut, dass Medikamente, die diese Modifikationen beeinflussen, eine immer wichtigere Rolle in der Krebstherapie spielen werden“, sagt der Kinderarzt und Molekularbiologe Prof. Dr. Stefan Pfister. Das DKFZ und das Universitätsklinikum Heidelberg erproben diese vielversprechenden Wirkstoffe bereits gegen bestimmte kindliche Tumoren.

Die Anzahl aller Erbgutveränderungen steigt bei Medulloblastomen mit dem Erkrankungsalter. „Eine solche Korrelation wurde bislang zwar schon häufig vermutet, jedoch noch nie dokumentiert“, erklärt Stefan Pfister. „Wir vermuten jedoch, dass die Anlage für ein Medulloblastom bereits während der Embryonalentwicklung entsteht.“

Erstmalig entdeckten die PedBrain-Tumor-Forscher beim Medulloblastom auch so genannte Fusionsgene. Sie entstehen, wenn durch einen genetischen Unfall krebsfördernde Gene aneinanderlagert werden und dadurch neue Proteine entstehen. Solche Fusionsgene verursachen einige Krebserkrankungen, etwa die chronisch myeloische Leukämie (CML). Bei dieser Erkrankung konnte ein sehr wirksames Medikament gegen das Fusionsgen BCR-ABL, das hochspezifisch für die Leukämiezellen ist, entwickelt werden.

„Neben der Vielzahl von individuell auftretenden Veränderungen konnten wir einige typische Gruppen von Mutationen definieren, die uns neue Strategien aufzeigen, wie wir das Medulloblastom bekämpfen können“, resümiert Peter Lichter. „Bei der genetischen Komplexität und Heterogenität dieses Tumors spricht vieles dafür, in Zukunft bei jedem betroffenen Kind das Tumorerbgut zu analysieren, um die aussichtsreichste Therapie zu identifizieren.“

Internationale Zusammenarbeit bei der Analyse des Tumorerbguts

Das Internationale Krebsgenom-Konsortium (ICGC), ein Verbund von Wissenschaftlern aus inzwischen 14 Ländern, hat zum Ziel, die charakteristischen Genom- und Epigenom-Veränderungen bei allen wichtigen Krebserkrankungen zu erfassen. Deutschland beteiligt sich mit „PedBrain-Tumor“, einem Projekt zur Analyse von kindlichen Hirntumoren (Medulloblastome, an denen in Deutschland etwa hundert Kinder jährlich erkranken, sowie pilozytische Astrozytome, die jedes Jahr bei etwa 200 Kindern diagnostiziert werden). Im Rahmen von PedBrain-Tumor sollen von beiden Erkrankungen jeweils 300 Tumorproben analysiert werden. Dazu kommt die gleiche Anzahl von gesunden Proben derselben Patienten, um Veränderungen als krebsspezifisch erkennen zu können.

Im PedBrain-Tumor-Verbund forschen Wissenschaftler aus sieben Institutionen unter der Federführung von Peter Lichter (DKFZ). In Heidelberg sind neben dem Deutschen Krebsforschungszentrum das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT), die Universität, das Universitätsklinikum sowie das European Molecular Biology Laboratory (EMBL) beteiligt. Außerdem übernehmen Wissenschaftler vom Universitätsklinikum Düsseldorf und vom Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik in Berlin Aufgaben im Verbundprojekt.

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