Der 11. September überschattet Amerikas Forschung

09.09.2002

New York (dpa) - Im Forscherparadies Amerika droht sich nach dem 11. September das Klima zu verändern. Washington legt derzeit Hunderttausenden von Mikrobiologen Bandagen an. Nach ihnen sollen auch Agrarforscher schärfer überwacht werden. Grund ist die Angst der Regierung vor Anschlägen mit Biowaffen oder einem Massensterben in Folge vergifteter Lebensmittel. Derweil fürchten die Universitäten und anderen Forschungsinstitute, dass die USA durch die Maßnahmen ihre Anziehungskraft für Wissenschaftler aus aller Welt verlieren. Das könnte auf Dauer auch die internationale Vorreiterrolle der USA in Forschung und Entwicklung gefährden.

Knapp ein Jahr nach den Terroranschlägen schreibt Washington 190 000 Bio-Labors, Krankenhäusern, Pharmaherstellern und unabhängigen Forschern in den USA vor, Rechenschaft über ihren Kontakt mit bestimmten Pathogenen abzulegen. Die Frist läuft am 10. September ab.

Zu den 36 jetzt meldepflichtigen Stoffen gehören tödliche Erreger wie das Ebola-Virus, der Milzbranderreger und das von Mäusen übertragene Hanta-Virus. Am unteren Ende stehen relativ weit verbreitete Substanzen wie Aflatoxine, die auch in Tierfutter und manchen Lebensmitteln vorkommenden Krebserreger, sowie das Nervengift Botulinum, das in verdünnter Form gerade als Anti-Faltenmittel Botox Karriere macht.

Nach den neuen US-Vorschriften muss jeder Forscher, der mit einem dieser Stoffe hantiert, bis zum 10. September namentlich registriert sein. Danach wird er vom Justizministerium gründlich überprüft und offiziell zugelassen - oder auch abgelehnt. Wer schon mal vor Gericht stand, und wenn auch nur wegen eines Drogenvergehens, fällt raus. Desgleichen Wissenschaftler, die schon einmal psychische Probleme hatten, und alle Forscher aus dem Irak, Iran, Kuba, Libyen, Syrien, dem Sudan und Nordkorea - Staaten, die nach US-Interpretation den internationalen Terrorismus unterstützen. Und wer sich wagt, gegen diese Vorschriften zu verstoßen, wird strafrechtlich verfolgt.

Die Maßnahmen haben «das Potenzial, die Forschung, so wie wir sie kennen und betreiben, umzukrempeln», meint der Präsident der Amerikanischen Gesellschaft für Mikrobiologie (ASM/American Society for Microbiology), Ron Atlas. Trotzdem hat bisher nur eine US- Universität Einspruch erhoben. Das angesehene Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge bei Boston erklärte, dass die Überprüfung von Studenten und der selektierte Umgang mit den 36 Stoffen «nicht mit den MIT-Prinzipien übereinstimmt». Auch die Gesellschaft der Mikrobiologen kritisierte die Auflagen gegenüber der «New York Times» als «unvollständig und zu ehrgeizig».

Die AMS-Fachfrau für die neue Gesetzeslage, Janet Shoemaker, erwartet «enorme Veränderungen», wie sie der dpa sagte. Viele US- Institute planen demnach, neue Hochsicherheitslabors zu errichten oder ihre alten Laboratorien in solche umzubauen. Andere wollen Wände ziehen, wo Forscher bisher ihre Köpfe zusammenstecken und Erkenntnisse sowie Materialien teilen konnten. Auf der anderen Seite locken die Forschungsgelder, die das US-Gesundheitsministerium auf der Suche nach Impfstoffen und anderen vorbeugenden Maßnahmen zum Schutz vor Biowaffen ausschreiben will - über 1,5 Milliarden Dollar (etwa 1,5 Milliarden Euro).

Derweil untersucht die Nationale Akademie der Wissenschaften (NAS) in Washington, ob wissenschaftliche Fachzeitschriften künftig jene Daten und Informationen von der Veröffentlichung ausschließen sollten, die Terroristen die Arbeit erleichtern würden. Eine solche Zensur zehrt am Fundament der Forschung, sagt ASM-Präsident Atlas. Wie kann Wissenschaft vorankommen, wenn Ergebnisse unterschlagen werden und nicht für das nächste Experiment zur Verfügung stehen, stimmen Kollegen ihm zu.

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