Selektion beeinflusst viele Gene für Übergewicht parallel
Max-Planck-Wissenschaftler entschlüsseln Gene für eine komplexe Eigenschaft
Die Plöner Forscher haben auf Mauslinien zurückgegriffen, die seit 25 Jahren gezielt für übergewichtige Mäuse selektiert wurden und damit die natürliche Selektion im Labor nachgestellt. Die über 150 Generationen lang gezüchteten Mäuse gehören sieben unterschiedlichen Stämmen an und wiegen inzwischen zwei- bis vier-Mal so viel wie normalgewichtige Tiere. Insgesamt konnten die Max-Plank-Wissenschaftler 67 Regionen im Erbgut identifizieren, die sich bei den übergewichtigen Mäusen verändert hatten. Die verschiedenen Stämme sind sich durch den extremen künstlichen Selektionsdruck in diesen Regionen so ähnlich geworden, dass sich das Erbgut der dickeren, nicht miteinander verwandten Tiere untereinander stärker ähnelte als die Genome zwischen zwei nah verwandten, normalgewichtigen Mausstämmen. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass diese Abschnitte an der Regulation des Körpergewichts beteiligt sind.
Die entdeckten Regionen regulieren unter anderem den Energiehaushalt, Stoffwechselvorgänge und Wachstum. So kontrolliert das in der Nebenniere gebildete Gpr133-Gen vermutlich das Körpergewicht über die Abgabe von Hormonen. Das zweite identifizierte und im Hypothalamus des Gehirns aktive Gen Gpr10 beeinflusst indessen wahrscheinlich Appetit und Stoffwechselraten. Aber auch Gene für die Regulation von Fettzellen und die Geschmacks- und Duftwahrnehmung wirken sich demnach auf das Körpergewicht aus. Viele der entdeckten Regionen stimmen überdies mit Abschnitten auf dem menschlichen Erbgut überein, die die Körpergröße beeinflussen. „Dies bestätigt unseren Befund, dass diese Regionen das Körpergewicht bestimmen, mit großer Wahrscheinlichkeit auch beim Menschen. Denn die Größe bestimmt das Körpergewicht maßgeblich mit“, sagt Frank Chan vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie.
Interessanterweise verändert sich das Erbgut wildlebender Mäusepopulationen auf abgeschiedenen Inseln, die sich unter natürlicher Selektion entwickelt haben, ähnlich wie bei den im Labor gezüchteten Tieren. So haben sich auf den Färöer Inseln und St. Kilda vor der Küste Schottlands Mäusepopulationen entwickelt, die zu den größten Mäusen weltweit zählen. Auch diese Tiere weisen hohe Ähnlichkeit in den Regionen des Erbguts auf, die sich bei den übergewichtigen, im Labor gezüchteten Tierstämmen verändert haben. Die künstliche Selektion im Labor verändert also dieselben Abschnitte im Erbgut wie die natürliche Auslese.
Wenn sich also komplexe Eigenschaften an veränderte Umweltbedingungen anpassen müssen, wirkt die Selektion auf viele verantwortlichen Gene gleichzeitig ein. Diese verändern sich dadurch parallel und tragen so in unterschiedlichem Ausmaß zur Anpassungsfähigkeit des Organismus bei. Dadurch können also die genetischen Grundlagen komplexer Eigenschaften mittels paralleler Selektion entschlüsselt werden.