Ältester Tuberkulose-Nachweis beim Menschen?
Paläopathologe untersucht Nachbildung eines 500.000 Jahre alten Schädels
Kappelmann
„Rein morphologisch gesehen, ist es wahrscheinlich, dass es sich bei den ‚Grübchen‘ und Einkerbungen an der Innenseite des Vorderschädels um Überreste einer durch Tuberkulose ausgelösten Hirnhautentzündung handelt. Wenn diese Annahme stimmt, ist der Fund aus der Türkei der einzige Nachweis weltweit von Hirnhaut-Tuberkulose beim Menschen aus der Fossilzeit“, sagt der Paläopathologe Prof. Schultz.
Die morphologischen Erkenntnisse beziehen sich auf einen naturgetreuen Abguss des Schädelstücks. Prof. Schultz hat ihn zusammen mit dem amerikanischen Wissenschaftler Prof. John Kappelmann in Göttingen lupenmikroskopisch untersucht. Prof. Kappelmann, Anthropologe an der Universität Austin in Texas, ist Teil einer Forschungsgruppe, die die Knochenstücke des Frühmenschen untersucht. Das Originalfundstück befindet sich in der Türkei. Dort sollen im Sommer 2012 weitere lichtmikroskopische sowie endoskopische Untersuchungen klären, ob sich die morphologischen Annahmen bestätigen lassen. Fest steht: Die ein bis zwei Millimeter großen Läsionen an der Schädeldecke sind offenbar entstanden, als der Frühmensch noch gelebt hat. Sie sind typische Anzeichen für eine Infektion der Hirnhäute. Das sind die Membranen, die das Gehirn umgeben. „Vor allem die exakte Form und die Platzierung der Läsionen am Schädel sind sehr charakteristisch für eine bestimmte Form von Tuberkulose. Sie ist als Leptomeningitis tuberculosa bekannt“, sagt Prof. John Kappelmann. Die Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen wurden im American Journal of Physical Anthropology veröffentlicht.
„Die paläopathologischen Untersuchungen liefern eine neue Grundlage zur Inter-pretation der Evolution und Geschichte der Tuberkulose. Sollten sich die morphologischen Untersuchungen bestätigen, ist dieser Fund von außergewöhnlicher Bedeutung für die geschichtliche Einordnung von Tuberkulose. Dann müsste der Zeitpunkt des ersten Auftretens der Krankheit in der Geschichte der Menschheit korrigiert werden“, sagt Prof. Michael Schultz.
Tuberkulose ist eine bakterielle Infektionskrankheit, die am häufigsten die Lunge befällt. Die Erreger können sich aber auch in anderen Organen des Körpers ausbreiten - wie im Gehirn. Die Folge ist: Es kann eine Hirnhautentzündung entstehen. Das ist auch die Diagnose der Erkrankung dieses Frühmenschens. Zu erkennen ist dies an den deutlichen Riefen und Höckerstrukturen auf der Vorderseite der vorderen Schädelgrube. Der Größe und der stark wulstigen Augenbrauenknochen nach zu urteilen, gehören die Knochenstücke zu den Überresten eines jungen Mannes zwischen 18 und 30 Jahren. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass es sich um einen aus Afrika stämmigen, dunkelhäutigen Mann handelt. Menschen mit dunkler Haut bilden weniger Vitamin D. Das macht sie anfälliger für bestimmte Krankheiten wie Tuberkulose. Die Schädelstücke wurden im Jahr 2004 bei Abtragungen von Travertin-Gestein in einem Steinwerk im Westen der Türkei gefunden.
Originalveröffentlichung
American Journal of Physical Anthropology 135:110-116, 2008