Antifrost-Eiweiße einer Eisalge sollen Tiefkühl-Brötchen vor Gefrierbrand schützen

27.03.2012 - Deutschland

Die Kieselalge Fragilariopsis cylindrus gedeiht dort, wo viele andere Lebewesen in eine Kälte-Schockstarre fallen würden – nämlich im Meereis der Arktis und Antarktis. Ihr Überleben garantiert ein Antifrost-Protein, das die Alge an ihre Umgebung abgibt. Biologen vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft ist es nun gelungen, den genetischen Bauplan dieses natürlichen Frostschutzmittels zu entschlüsseln und das Eiweiß biotechnologisch herzustellen. In einem gemeinsamen Projekt mit Lebensmittelforschern vom ttz Bremerhaven soll jetzt untersucht werden, ob der Algen-Frostschutz auch Tiefkühl-Brötchen vor der zerstörerischen Kraft der Eiskristalle bewahren kann.

Hendrik Lange/Friedel Hinz, Alfred-Wegener-Institut

Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme zweier Kieselalgen der Art Fragilariopsis cylindrus.

Dr. Gerhard Dieckmann, Alfred-Wegener-Institut

Neun Fragilariopsis cylindrus Algen liegen nebeneinander. Jede der Zellen enthält zwei Chloroplasten, in denen sie durch Photosynthese Energie gewinnen. In der Seitenansicht misst die Schale einer Fragilariopsis cylindrus etwa 15 Mikrometer. Drei Algen aneinandergereiht passen also in den Durchmesser eines Haares.

Gerhard Dieckmann, Alfred-Wegener-Institut

Fragilariopsis cylindrus-Algen, eingeschlossen im Eis. Die Kieselalgen leben in den kleinen Kanälen und Hohlräumen, die entstehen, wenn Meerwasser zu Eis gefriert. Um nicht vollends einzufrieren, geben die Algen ein Eiweiß ab, das als natürliches Frostschutzmittel wirkt und die Hohlräume offen hält.

Hendrik Lange/Friedel Hinz, Alfred-Wegener-Institut
Dr. Gerhard Dieckmann, Alfred-Wegener-Institut
Gerhard Dieckmann, Alfred-Wegener-Institut

Die Kieselalge Fragilariopsis cylindrus hat sich einen der extremsten Lebensräume der Welt ausgesucht: das Meereis in den Polarregionen. Sie besiedelt die kleinen Kanäle und Hohlräume, die entstehen, wenn Meerwasser zu Eis gefriert. Das Wasser in diesen winzigen Eishöhlen kühlt sich im Extremfall auf bis zu minus 20 Grad Celsius ab und ist dann fast sieben Mal salziger als normales Meerwasser. Der Alge aber können Frost und Salzlauge nahezu nichts anhaben. Sie wappnet sich und produziert ein sogenanntes Antifrost-Eiweiß, das sie an ihre Umgebung abgibt. „Am Anfang unserer Untersuchungen wussten wir, dass in der Natur verschiedene Antifrost-Proteine vorkommen, die auch ganz unterschiedliche Aufgaben haben. In Fischen zum Beispiel senken sie den Gefrierpunkt des Blutes. Bei Pflanzen sorgen sie für den Fall, dass sich einmal Eis gebildet hat, dass die einzelnen Kristalle kaum an Größe gewinnen und dem Gewebe auf diese Weise nicht schaden können“, sagt Dr. Maddalena Bayer-Giraldi, Biologin am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft.

Die Wissenschaftlerin geht der Frage nach, wie Leben im Eis überhaupt möglich ist und stellte bei ihren Untersuchungen der Eisalge schnell fest: Das Frostschutz-Protein von Fragilariopsis cylindrus passte in keine bekannte Eiweiß-Gruppe. „Es hat sich gezeigt, dass das Antifrost-Protein dieser Kieselalge zu einer neuen Gruppe der Frostschutz-Eiweiße gehört. Es senkt zwar auch leicht den Gefrierpunkt des Wassers. Viel markanter sind jedoch seine Eigenschaften, das Wachstum der Eiskristalle zu hemmen, die Mikrostruktur der Eiskristalle zu verändern und damit die Textur des Eises. Wir vermuten, dass sich auf diese Weise das Eis so entscheidend verändert, dass die Salzlauge nicht ausgewaschen wird. Sie verbleibt in den Kanälen, weshalb die kleinen Gänge und Hohlräume im Eis nie ganz zufrieren. Sie verengen sich nur, bleiben aber als Lebensraum für die Alge erhalten“, sagt Maddalena Bayer-Giraldi.

Ihre Forschungsergebnisse haben sowohl Wissenschaftler als auch Experten aus der Industrie aufhorchen lassen. Bieten sie doch möglicherweise Ansatzpunkte für die Entwicklung neuer Frostschutzmittel. „Antifrost-Proteine sind für all jene Anwendungsbereiche interessant, in denen Eis Schaden anrichtet, so zum Beispiel bei der Herstellung von Lacken oder Oberflächen, die eisfrei bleiben sollen“, erklärt die Biologin.

Interesse an ihren Forschungsergebnissen zeigte das Technologietransferzentrum (ttz) Bremerhaven. Dessen Institut für Lebensmitteltechnologie und Bioverfahrenstechnik sucht nach neuen Frostschutzmethoden für tiefgekühlte Backwaren. Bisher kommt es nämlich beim Gefrieren von ungebackenen Brötchen und Broten zu spürbaren Qualitätsverlusten. Eiskristalle, die entstehen, wenn das Wasser im Teig gefriert, zerstören sowohl die Struktur und Klebeeigenschaften des Teiges als auch die Hefezellen, weshalb die Backwaren beim Auftauen bis zu 20 Prozent ihres Volumens einbüßen. An der Oberfläche trocknet das Gefriergut zudem aus. Gemeinsam wollen Biologen und Lebensmittelforscher nun einen Weg finden, mit dem sich das Antifrost-Protein der Kieselalge so gezielt in Bäckereien einsetzen lässt, dass die Eiskristallbildung beim Tiefkühlen kontrolliert werden kann.

Maddalena Bayer-Giraldi konzentriert sich dabei auf zwei Kernfragen. „Mich interessiert wie das Protein mit dem Eis interagiert und wie es dessen Struktur prägt. So wissen wir beispielsweise noch nicht, bei welcher Konzentration des Antifrost-Eiweißes diese Prozesse ablaufen oder welche Gefrierbedingungen die besten sind. Diese Fragen sind jedoch ganz entscheidend – für den industriellen Einsatz des Proteins ebenso wie für das Verständnis der Ökologie im Meereis“, sagt die Biologin. Auf ihren Erkenntnissen werden anschließend die Back- und Gefriertests der Lebensmittelexperten aufbauen.

Gefördert wird dieses Projekt von der Allianz Industrie Forschung (AiF) sowie dem Forschungskreis der Ernährungsindustrie e.V.. Es steht damit exemplarisch für das hohe Anwendungspotenzial von Ergebnissen der Grundlagenforschung am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft.

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