Orphan Drugs – Eine Alternative zum auslaufenden Blockbustermodell?

28.11.2011 - Deutschland

Bis zur Jahrtausendwende wuchs die Pharmaindustrie noch mit 11%. Das Blockbustermodell ist jedoch zunehmend gefährdet und die Branche begegnet rückläufigen Wachstumsraten mit der Suche nach neuen Strategien. Orphan Medikamente werden dabei immer wichtiger. Novumed Life Science Consulting hat den Markt für Orphan Medikamente untersucht und herausgefunden, dass für viele seltene Krankheiten noch kein Medikament in der Entwicklung ist.

Bis zur Jahrtausendwende schien die Welt der großen Pharmafirmen noch in Ordnung. Bis zum Jahre 2002 wurden zweistellige Wachstumsraten von etwa 11% verzeichnet. Seitdem sank das jährliche Wachstum stetig auf jetzt nur noch ca. 4%. Die beeindruckenden Ergebnisse der Vergangenheit erreichte die Industrie vor allem durch ihren Fokus auf „Blockbuster Drugs“ (Jahresumsatz > US$ 1 Mrd).

Dabei lag der Schwerpunkt auf Krankheiten mit sehr hoher Prävalenz, wie z. B. Fettstoffwechselstörungen (Dys-, bzw. Hyperlipidämien), kardiovaskulären Erkrankungen oder Diabetes. Laut einer Analyse der Novumed Consultants erfüllten 120 Medikamente im Jahre 2010 die Definition eines Blockbusters. Diese Medikamente generierten US$ 302 Mrd. bzw. 35% des gesamten Pharmaumsatzes von US$ 850 Mrd.. In Zeiten der Blockbuster fanden „Orphan Krankheiten“ wenig Beachtung. Dies sind Krankheiten, die nicht mehr als 200.000 Patienten in Amerika und nicht mehr als 50 Patienten pro 100.000 Einwohner in der EU betreffen. Man geht davon aus, dass es zwischen 5.000 und 7.000 dieser seltenen Krankheiten gibt und ca. 6% bis 8% der europäischen Bevölkerung davon betroffen sind.

Die USA und EU haben Gesetze erlassen, die der pharmazeutischen Industrie Anreize schaffen, Medikamente für seltene Krankheiten zu entwickeln. Die Indikation des zu entwickelnden Medikaments darf nicht mehr als 200.000 Patienten in den USA und nicht mehr als 50 Patienten pro 100.000 Einwohner in der EU betreffen. Sobald eine Indikation die Voraussetzungen für eine seltene Krankheit erfüllt, winken attraktive Begünstigungen wie Marktexklusivität, wissenschaftliche Beratung, Hilfe bei der Erstellung des Studienprotokolls, Gebührennachlass, Steuervorteile und finanzielle Unterstützung.

Laut einer Studie des Forbes-Magazins können die jährlichen Behandlungskosten mit einem Medikament bis zu US$ 400.000 betragen. Dabei überstiegen die Therapiekosten der neun teuersten Medikamente jeweils US$ 200.000 pro Jahr. Bei allen Medikamenten handelte es sich um biotechnologisch hergestellte Medikamente mit „Orphan Status“. Die Preisgestaltung ist ein wichtiges Kriterium der Profitabilität von „Orphan Arzneimitteln“. Pharmafirmen erzielen hier hohe Preise, da seltene Krankheiten nur wenige Patienten betreffen und der medizinische Bedarf sehr hoch ist, weil Behandlungsalternativen fehlen.

Dem globalen Orphan Arzneimittelmarkt wird ein jährliches Wachstum von 6% bis 2015 mit einem Volumen von 112 Mrd. US $ vorausgesagt. Mittlerweile haben große Pharmaunternehmen – Pfizer, GlaxoSmithKline, Novartis und MSD - die Attraktivität dieses Marktes erkannt und Forschungsprogramme etabliert, die auf Orphan Arzneimittel spezialisiert sind. Auch die wachsende Anzahl der Anträge auf Erteilung des Orphan Drug Status ist ein Beweis dafür, dass die Akzeptanz von Orphan Arzneimitteln kontinuierlich steigt.

Novumed hat 71 von mehr als 600 Orphan Indikationen exemplarisch untersucht: Für 42 der 71 Erkrankungen waren keine Medikamente in der Entwicklung. Damit gibt es im Bereich seltener Erkrankungen offensichtlich noch ein hohes Potential für First-in-class Medikamente. Die meisten Arzneimittel wurden für Atemwegserkrankungen und neurologische Indikationen entwickelt, wobei 66% der Arzneimittel gegen Atemwegserkrankungen auf die Indikation Mukoviszidose und 80% in der Neurologie auf Chorea Huntington entfielen.

Die Prävalenz der jeweiligen Erkrankung, welche im Blockbuster-Modell einen hohen Stellenwert einnimmt, hing nicht ursächlich mit der Orphan Medikamentenentwicklung zusammen. Außerdem hatten weder das Alter bei Ausbruch der Krankheit noch die Lebenserwartung oder die Dauer der Krankheit einen Einfluss auf die Entwicklung von Arzneimitteln für seltene Krankheiten. Dies bedeutet, dass die typischerweise für eine Medikamentenentwicklung relevanten Treiber bei Orphan Drugs nicht relevant sind.

„Orphan Arzneimittel“ bergen zwar ein hohes Marktpotential, die attraktivsten Segmente wurden bisher jedoch nicht identifiziert. Da dieser Markt fragmentiert und ungenügend charakterisiert ist, fehlt es an verlässlichen Marktdaten oder Konkurrenzanalysen. Die Wachstumschancen können für diejenigen beträchtlich sein, die sich für einen Strategiewechsel entscheiden.

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