Forschung ohne Tierversuche
Jochen Dindorf, Alexandra Baumann und Maximilian Preissler
Mit dem Preis zeichnet der Verein Ärzte gegen Tierversuche Arbeiten zur Krebsforschung aus, die ganz auf die Verwendung von Tieren und tierischem Material verzichten – auch Nährmedien für Zellkulturen und Antikörper sind synthetisch hergestellt. Der Preis ist mit 10 000 Euro dotiert. „Es freut uns, Wissenschaftler zu fördern, deren Forschungsarbeiten auf den Menschen bezogene tumorspezifische Untersuchungen ermöglichen und die ohne jedes Tierleid auskommen“, sagt die Biologin Silke Bitz von der Ärztevereinigung.
Die KIT-Wissenschaftler Dr. Irina Nazarenko vom Institut für Toxikologie und Genetik (ITG) und Dr. Stefan Giselbrecht vom Institut für Biologische Grenzflächen (IBG 1) verbinden in ihrem interdisziplinären Projekt des Programms BioGrenzflächen Methoden der Zellforschung und der Ingenieurwissenschaften. Sie erforschen, wie
Metastasen eines Tumors entstehen, indem sie die Kommunikation zwischen Zellen untersuchen. Bei der Metastasierung spielt die Bildung sogenannter prä-metastatischer Nischen eine entscheidende Rolle: Tumorzellen können offenbar normale Zellen des Körpers so verändern, dass in bestimmten Organen, wie in der Lunge, in der Leber und in den Knochen, sozusagen ein fruchtbarer Boden vorbereitet wird. In diesen prä-metastatischen Nischen können sich zirkulierende Tumorzellen ansiedeln, um Metastasen zu bilden.
Die Forschungsteams von Nazarenko und Giselbrecht untersuchen die noch unbekannten molekularen Mechanismen der Kommunikation zwischen Tumorzellen und zwischen dem Tumor und dem Körper des Patienten, speziell den adulten Stammzellen. Dabei geht es vor allem um die gezielte Steuerung des Stammzellvehaltens mithilfe von zellulärer Kommunikation. Die Forscher entwickeln dafür ein Modell der prä-metastatischen Nische des Brustkrebses (Mammakarzinom) im Knochengewebe Sie kultivieren menschliche Zellen auf mikrostrukturierten Biochips in Bioreaktoren. So stellen sie die Abläufe bei der Interaktion zwischen Zellen und der Nische in Knochengewebe lebensecht dar.
Um ein Modell des Knochenmarks zu entwickeln, setzen die beiden KIT-Forscher neue folienbasierte mikrostrukturierte Zellkulturmatrizen und miniaturisierte Bioreaktoren ein und verwenden Ko-Kulturen aus menschlichen Zellen. Mithilfe von Chips bilden sie die Architektur des Knochens möglichst wirklichkeitsgetreu nach. Die Chips stellen sie über den von ihnen entwickelten SMART-Prozess (Substrate Modification And Replication by Thermoforming) her. Um die Aktivierung von Stammzellen des Knochenmarks durch von Tumorzellen produzierte Botenstoffe, wie lösliche Moleküle oder Membranbläschen, zu untersuchen, werden Nazarenko und Giselbrecht Bioreaktoren mit zwei integrierten Chips verwenden, die durch eine poröse Membran getrennt sind. Im ersten Chip kultivieren sie die Modelle des Knochenmarks, im zweiten Chip Tumorzellen des menschlichen Mammakarzinoms.
Diese Arbeiten im interdisziplinären Umfeld des KIT und des Programms BioInterfaces ermöglichen erstmals, das natürliche Interface der prä-metastatischen Nische unter kontrollierten Bedingungen in vitro zu beobachten und zu steuern. Nazarenko und Giselbrecht entwickeln ihr Modell als Vorreiter im Bereich der anwendungsorientierten Mikro- und Nanotechnologien. Darauf basierend soll künftig auch die Modellierung von Nischen in anderen Organen und für verschiedene Tumorarten möglich sein. Erkenntnisse über die Abläufe bei der Bildung der prä-metastasischen Nische und deren gezielte Steuerung sind wesentlich für die Entwicklung neuer Therapien gegen Metastasen.