Licht an, Gen ein

30.06.2011 - Schweiz

Forscher der ETH Zürich haben ein genetisches Netzwerk gebaut, das in menschlichen Zellen wie ein Lichtschalter funktioniert. Damit gelang es ihnen, Gene mit blauem Licht "anzuknipsen" und zu regulieren. Dieser "Gen-Lichtschalter" ermöglicht neue Therapien, die unter anderem bei Diabetes Typ 2 zum Einsatz kommen könnten.

Der neuste Coup aus dem Labor von Martin Fussenegger klingt nach Science Fiction. Der Professor für Biotechnologie und Bioingenieurwissenschaften hat mit seiner Gruppe ein genetisches Netzwerk in lebenden Zellen konstruiert, mit dem sich spezifische Gene mit blauem Licht anschalten bzw. regulieren lassen. Die Forscher haben indes nicht das gesamte Netzwerk entwickelt, sondern lediglich natürliche Signalwege – einen aus dem Auge und einen aus dem Immunsystem – miteinander gekoppelt. Die Zellen werden samt funktionierendem Gen-Netzwerk unter der Haut eingesetzt und das Implantat von aussen mit blauem Licht beleuchtet. Damit können die Forscher das Ziel-Gen sehr präzise steuern.

Der "Gen-Lichtschalter", mit dem die Wissenschaftler das Netzwerk anknipsen, besteht aus Melanopsin, einem Protein, das in der Netzhaut des menschlichen Auges vorkommt und mit Vitamin A einen Komplex bildet. Trifft blaues Licht auf diesen Komplex, setzt sich die erste Signalkaskade in Gang. Diese sorgt dafür, dass sich Calcium im Inneren der Zelle ansammelt. Dieser Vorgang läuft natürlicherweise auch im Auge ab und sorgt im Gehirn für das tägliche Einstellen der inneren Uhr. Die Forscher haben ihn aber neu an einen Signalweg gekoppelt, der in der Immunregulation eine wichtige Rolle spielt.

Calcium aktiviert Enzym

Das Calcium im Zellinneren aktiviert ein Enzym, welches die Phosphatgruppe (P) vom Protein NFAT-P abspaltet. Dadurch gelangt NFAT in den Zellkern, wo es an eine künstliche Kontrollsequenz bindet und das Ziel-Gen einschaltet, wel-ches die Forscher eingebracht haben. Das Gen wird aktiv und die Zelle produziert zahlreiche Kopien eines anderen Proteins. Über die Lichtmenge und –stärke können die Forscher fein regulieren, welche Mengen dieses Proteins hergestellt werden sollen. Das Gen auszuschalten ist einfach: Licht aus, Gen aus. Denn ohne Licht wird Melanopsin nicht mehr angeregt, kein Calcium mehr in der Zelle angesammelt, und die Signalkaskade ist unterbrochen.

Aufgebaut haben die Wissenschaftler diese künstliche Signalkaskade in menschlichen Zellen, die sie – geeignet verpackt – in Mäuse implantiert haben. Das blaue Licht erreicht die Zellimplantate entweder über ein hauchdünnes Glasfaserkabel, oder, wenn das Implantat direkt unter der Haut platziert wird, indem die Tiere unter eine blaue Lampe gesetzt werden. Als Lichtquelle dienten den Forschern unter anderem kommerziell erhältliche LEDs oder eine Blaulicht-lampe, die gegen Winterdepressionen eingesetzt wird. Dieses Licht schadet der Haut nicht, da es keinen UV-Anteil enthält.

Diabetes-Therapie denkbar

Bei ihren Versuchen mit Zellkulturen und Mäusen testeten die Forscher die lichtgesteuerte Produktion eines bestimmten Hormons: GLP-1 kontrolliert die Bildung von Insulin und reguliert den Blutzuckerspiegel. Die Tests bestätigten den Ansatz der Forschenden. Das durch Licht hoch regulierte GLP-1 half Mäusen, die an Diabetes erkrankt waren, die Insulinproduktion des Organismus zu verbessern, zugeführte Glukose rasch aus dem Blut zu entfernen und das Blutzucker-Gleichgewicht im Organismus wieder herzustellen.

Die von Martin Fussenegger und seiner Gruppe entwickelte GLP-1-Gentherapie könnte somit in Zukunft die klassische Injektion von Insulin bei Diabetikern ersetzen. Fussenegger kann sich vorstellen, dass man beispielsweise Patienten mit Diabetes Typ 2 ambulant ein Implantat unter die Haut setzt und die entspre-chende Hautstelle mit einem schwarzen Pflaster, das LED-Leuchten enthält, gegen das Tageslicht abschirmt. Bei Bedarf, etwa nach einer Mahlzeit, schaltet der Patient mittels Knopfdruck die LED-Lämpchen an und bestrahlt das Implantat ein paar Minuten lang, um die Bildung von GLP-1 anzuregen. Sobald genug davon im Körper zirkuliert, schaltet der Patient die Lämpchen wieder aus. «Das ist noch Science Fiction», betont der ETH-Professor. Es dauere sicherlich noch längere Zeit, bis ein Produkt dieser Art auf dem Markt erhältlich sein werde.

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