Dem Geheimnis auf der Spur, wie Leukämiestammzellen immer wieder zu ihrem Jungbrunnen zurück finden
AG Prof. A. Ho
Diejenigen Stammzellen, die für die Aufrechterhaltung des Blutsystems sorgen, sogenannte hämatopoietische Stammzellen, kurz HSC, befinden sich hauptsächlich in einer geschützten Umgebung im Knochenmark, der Stammzellnische. Sie verlassen diese nur unter Stress. Nach einer Trennung von dieser Stammzellnische oder nach einer Stammzelltransplantation können die HSC durch eine zielgerichtete Wanderung, das „homing“, die Nische im Knochenmark wiederfinden. Die Wanderung der Zellen wird dabei durch chemische Botenstoffe (Chemokine) gesteuert. Letztere werden von den Zellen der Nische produziert. Dadurch bildet sich ein Konzentrationsgradient aus, dem die Stammzellen zur Nische hin folgen und sich schließlich binden lassen. Ein wichtiges Botenstoffsystem für die Stammzellbindung ist das von Knochenmarkzellen produzierte Chemokin SDF-1α (stromal cell-derived factor 1 alpha) und dessen zugehöriger Rezeptor CXCR4, der auch auf der Stammzelloberfläche ausgeprägt wird.
Leukämiestammzellen (LSC) verhalten sich ähnlich wie normale Blutstammzellen. So binden sie ebenfalls an ihre Nische und sind dadurch geschützt. Sie teilen sich nur sehr langsam und entziehen sich daher der Wirkung konventioneller Chemotherapie – mit der fatalen Folge, dass die ruhenden LSC alle herkömmlichen Therapieformen überleben und für Rückfälle verantwortlich sind. Um Unterschiede in den Wechselwirkungen von HSC sowie LSC mit der Stammzellnische zu erforschen, haben die Forscherteams im Labor ein Knochenmark-Stammzell-Modellsystem konstruiert (vgl. Abbildung). Innerhalb dieser Mikrostrukturen ist es erstmals möglich, die Ausprägung des Botenstoffgradienten gezielt einzustellen – etwa durch unterschiedliche Länge oder Durchmesser des Verbindungskanals zwischen den einzelnen Kompartimenten. Außerdem können die Forscher das Verhalten der Stammzellen unter dem Mikroskop genau beobachten. Daraus lassen sich Einflussgrößen auf die Wanderungs- und Bindungseigenschaften quantitativ und statistisch ermitteln. Besonders interessant sind die Wanderungsgeschwindigkeit der Zellen, die optimale Botenstoffkonzentration und die Unterschiede zwischen normalen und bösartigen Blutstammzellen. Auch ob die Stammzellen bei der Wanderung ein Gruppenverhalten zeigen, also zusätzlich Botenstoffe untereinander austauschen, wird in den Mikrostrukturen sichtbar.
Erste Experimente in den Mikrostrukturen haben gezeigt, dass HSC auf die chemischen Signale der Knochenmarkzellen reagieren. Auch eine Abhängigkeit des Wanderungsstarts von der Kanallänge, also von der Steilheit des Botenstoffgradienten, konnten die Forscher feststellen. Das entwickelte Modell, ein sogenanntes mikrofluidischen System, scheint sich insgesamt gut zu eigenen, die Wechselwirkung der Stammzellen mit ihrer Nische nachzustellen. Die Heidelberger wollen nun mit Hilfe dieser Mikrofluidik neue Angriffspunkte für die Blutkrebstherapie erschließen.
Die Wilhelm Sander-Stiftung fördert dieses Forschungsprojekt mit rund 90.000 Euro.