Rohe Sprossen tabu auf deutschen Tellern - 36 EHEC-Tote

Auch selbst gezogene Sprossen sollen deswegen zurzeit nicht gegessen werden

14.06.2011 - Deutschland

(dpa) In Deutschland sollten derzeit keine rohen Sprossen gegessen werden - auch keine selbst gezogenen. Diesen Schluss ziehen die Behörden aus der Suche nach der Infektionsquelle für die EHEC-Erkrankungen. Sprossen von dem Biohof im niedersächsischen Bienenbüttel sind inzwischen zweifelsfrei als EHEC-Träger identifiziert. Nicht geklärt ist jedoch, ob Mitarbeiter den Keim eingeschleppt haben oder er durch Saatgut oder andere Quellen in den Betrieb gelangte. Auch die Infektionswege der Mitarbeiter sind unklar.

Bis zum Pfingstmontag starben 36 Menschen an den Folgen der EHEC-Erkrankung, darunter ein Mensch in Schweden. Zuletzt meldete Hamburg den Tod einer älteren Frau.

Niedersachsens Gesundheitsministerin Aygül Özkan (CDU) sagte am Montag, es seien inzwischen drei Sprossen-Arten auf dem Biohof eingegrenzt worden. Demnach haben fünf erkrankte oder positiv getestete Mitarbeiterinnen des Betriebes bevorzugt Sprossen von Brokkoli, Knoblauch und Bockshorn gegessen.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) vermutet, dass das Saatgut für Sprossen mit dem EHEC-Keim belastet sein könnte. Daher warnt die Behörde auch vor selbst gezogenen rohen Sprossen und Keimlingen. Auf deren Spur brachte die Fahnder eine erkrankte Familie in Niedersachsen. Bei diesem Fall konnte der Erreger zunächst aber nicht in den Samen nachgewiesen werden.

Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) nimmt die Zahl der EHEC-Neuerkrankungen ab. Seit einigen Tagen werden «auf deutlich niedrigerem Niveau» Fälle übermittelt, teilte die Behörde mit. Ob der Rückgang auf ein verändertes Essverhalten oder auf ein Versiegen der Infektionsquelle zurückzuführen ist, konnte das RKI nicht sagen.

Bis zum Pfingstsonntag registrierte das Institut insgesamt 3.228 Erkrankungen. Davon litten 781 Menschen unter der besonders schweren Verlaufsform HUS, dem hämolytisch-urämischen Syndrom. 69 Prozent davon seien Frauen. Bei HUS können Nierenversagen und neurologische Schäden auftreten.

«Die Situation scheint unter Kontrolle zu sein», sagte EU-Verbraucherkommissar John Dalli am Montag beim einem Treffen auf Malta. «Das heißt nicht, dass wir in den nächsten Wochen keine neuen Fälle registrieren werden, da es eine Inkubationszeit gibt.»

Das BfR hatte am Samstag bestätigt, dass der EHEC-Erreger an den Sprossen des Biohofs aus Niedersachsen exakt vom selben Typ ist wie die Bakterien, an denen die Menschen in Deutschland starben. Am Wochenende war zudem bei zwei weiteren Mitarbeiterinnen des Sprossenerzeugers der aggressive Darmkeim nachgewiesen worden. «Damit können wir einen weiteren wichtigen Teil einer Indizienkette vorlegen», sagte Özkan. Bereits im Mai waren drei Mitarbeiterinnen des Betriebes mit EHEC-Symptomen erkrankt.

Gesundheitsexperte Karl Lauterbach warnte vor weiteren gefährlichen EHEC-Ausbrüchen in Deutschland. «Wir müssen zum Beispiel davon ausgehen, dass dieser neue Keim nicht einfach verschwindet. Sondern der wird mit uns sein», sagte der SPD-Politiker am Montag der Nachrichtenagentur dpa. Der aktuelle Fall zeige: Auch in der Zukunft müsse man mit neuen gefährlichen EHEC-Stämmen rechnen.

Zuvor hatte Lauterbach in der «Bild am Sonntag» das Meldeverfahren der Behörden als zu langsam kritisiert. Die Erkrankungen würden vom Gesundheitsamt vor Ort teils per Post über das Landesgesundheitsamt an das RKI mitgeteilt. Das dauere mindestens eine Woche. Lauterbach kündigte eine Untersuchung im Gesundheitsausschuss an. Die Kliniken sollten EHEC-Fälle direkt per Mail an das RKI melden.

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr will gemeinsam mit Bund und Länder das Verfahren überprüfen, wenn die Krise vorbei ist. Forderungen nach einer zentralen Stelle zur Seuchenbekämpfung erteilte der FDP-Politiker in der Zeitung erneut eine Absage.

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