Mit dem Computer auf der Spur des Ehec-Erregers

10.06.2011 - Deutschland

Es sind nur ein paar Gene, die Ehec-Erreger für den Menschen so gefährlich machen. Ansonsten unterscheiden sie sich kaum von harmlosen Darmbakterien. Diese Ähnlichkeit wollen Bioinformatiker am Saarbrücker Exzellenzcluster nutzen, um Ansatzpunkte für wirksame Medikamente gegen den Ehec-Erreger zu finden. Innerhalb kürzester Zeit haben sie die Datenbank und Analyse-Plattform EhecRegNet aufgebaut, die alle bekannten Wechselwirkungen von Genen der Darmbakterien umfasst. Mit Hilfe integrierter Simulationen können genetische Schalter für die gefährlichen Gene der Ehec-Erreger schneller identifiziert und somit medizinisch genutzt werden. Das virtuelle Labor soll nun Biomedizinern und Pharmazeuten weltweit dabei helfen, neue Arzneimittel zu entwickeln.

Jeder Mensch hat etwa ein bis zwei Kilogramm Bakterien im Körper, am häufigsten kommt das Darmbakterium Escherichia coli vor. Dieser Erreger ist der am besten untersuchte Mikroorganismus der Welt. „Wir kennen seine Gene recht genau und wissen von rund 3.500 Wechselwirkungen dieser Gene, das sind ungefähr 40 Prozent der im Bakterium ablaufenden regulatorischen Prozesse“, sagt Jan Baumbach, der am Informatik-Exzellenzcluster der Universität des Saarlandes eine Forschergruppe leitet. Gemeinsam mit seinem Team am Max-Planck-Institut für Informatik in Saarbrücken hat er schnell erkannt, dass der derzeit grassierende Ehec-Erreger nah verwandt ist mit den gewöhnlichen Darmbakterien. „Wir gehen davon aus, dass es nicht mehr als zehn Gene sind, die den Ehec-Erreger so lebensbedrohlich machen. Einige Gene sind im Laufe der Evolution schon vor langer Zeit entstanden, andere wurden durch Plasmid-Austausch verändert. Damit tauschen Bakterien durch eine Art primitiven Sex Geninformationen aus. Dies führt häufig zu Resistenzen gegen Antibiotika“, erläutert der Bioinformatiker.

Sein Forscherteam hat alle Informationen über das Erbgut der ungefährlichen Darmbakterien und deren Wechselwirkungen in einer Datenbank erfasst. Ebenfalls aufgeführt sind dort die Gendaten der gefährlichen Ehec-Erreger. Das EhecRegNet-System vergleicht am Computer die Gendaten der Ehec-Bakterien mit den Daten der ungefährlichen Bakterien, um genetische Schalter bei Ehec aufzuspüren. Ziel ist es, mit diesen Schaltern die Gene auszuschalten, die bei manchen Patienten schweres Nierenversagen auslösen. „Gene lassen sich wie eine Glühbirne an- und ausschalten. Man muss aber zuerst die richtigen Lichtschalter finden. Im Moment ist es so, als ob wir Steine auf die Glühbirne werfen, um das Licht auszumachen. Bei Ehec wissen wir noch nicht, wo der Lichtschalter ist, aber bei harmlosen Ehec-Verwandten kennen wir sie. Das ist unser Ansatzpunkt“, vergleicht Baumbach. Mit den Simulationen am Rechner könne man die Schalter für gefährliche Gene sehr viel schneller ausfindig machen als mit aufwändigen Tests in den biomedizinischen Laboren.

80 bis 90 Prozent der bekannten Wechselwirkungen in herkömmlichen Darmbakterien lassen sich durch Computer-Simulationen auf den Ehec-Erreger übertragen. Dieses Wissen über die ungefährlichen Erreger haben Biologen und Mediziner im Laufe der letzten 20 Jahren erarbeitet. „Bei den Ehec-Bakterien können wir uns nicht so viel Zeit nehmen. Aber wir können abkürzen und bekanntes Wissen über harmlose Bakterien nutzen, um Wissen über ihre genetische Regulation auf Ehec zu übertragen. Das spart uns langwierige, teure und auch gefährliche Laborarbeit,“ meint Baumbach. In viel kürzerer Zeit könnten am Computer die Daten abgeglichen werden. Damit könne man herausfinden, welche Schalter im Genom umgelegt werden müssen, um die Virulenz von Ehec zu vermindern.

Dennoch warnt der Wissenschaftler vor zu viel Euphorie: „Bis tatsächlich ein Medikament für den Markt zugelassen wird, kann das Jahre dauern. Es ist aber möglich, dass man schon bald experimentell zeigen kann, welche Wirkstoffe Erfolg versprechen“. Die Saarbrücker Forscher haben dafür ihre Web-Plattform frei zugänglich gemacht, um weltweit alle Biomediziner und Pharmazeuten an der Suche nach Medikamenten gegen den Ehec-Erreger zu beteiligen. „Uns schwebt eine neue Generation von Medikamenten vor, die im Gegensatz zu Antibiotika nicht mehr ganze Bakterienstämme abtöten. Wir wollen die genetischen Signalwege in den Bakterien nutzen, um einzelne Gene an- und auszuschalten.“, sagt Baumbach. Damit könnten die Bakterien entweder direkt unschädlich gemacht werden oder vom Immunsystem bewältigt werden. „So können wir vielleicht in Zukunft Erreger mit ihrem eigenen genetischen Programm bekämpfen“, meint Baumbach. Weniger aggressive Bakterien werden oft von allein mit Durchfall aus dem Darm geschwemmt. Die Ehec-Erreger hingegen verhinderten diesen natürlichen Mechanismus, da sie sehr fest an der Darmwand anhafteten.

Die Forschergruppe von Jan Baumbach am Saarbrücker Exzellenzcluster „Multimodal Computing and Interaction“ der Saar-Uni hat bereits ähnliche Web-Plattformen für Coryne-Bakterien, die zum Beispiel Diphterie auslösen, und für Tuberkulose aufgebaut. Mit rechenintensiven Methoden vergleichen die Bioinformatiker dort ungefährliche Laborstämme von Bakterien mit den krankmachenden Erregern. „Unsere Computersimulationen reduzieren drastisch die Anzahl an notwendigen Tierversuchen und Experimenten im Reagenzglas. Damit wird auch die Zeit verkürzt, bis Mediziner und Pharmazeuten neue Wirkstoffe entwickeln können, die auf genetischen Schaltern basieren“, erläutert Jan Baumbach.

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