Jeder Mensch hat bis zu 100 Genvarianten für Erbkrankheiten
Wissenschaftler sind immer mehr Genvarianten auf der Spur, die für Erbkrankheiten verantwortlich sind. Doch oft sind ein Mix aus Erbanlagen sowie Umweltausflüsse dafür verantwortlich, dass eine solche Krankheit auch wirklich ausbricht.
(dpa) Jeder Mensch trägt im Durchschnitt 50 bis 100 Genvarianten für Erbkrankheiten mit sich herum. Zu dieser Erkenntnis kommen Forscher des internationalen 1000-Genom-Projekts nach Auswertung der Daten aus der Pilotphase des Projekts. «Dass man ein verändertes Gen trägt, bedeutet aber nicht automatisch, dass eine Krankheit auch ausbricht», betonte Ralf Sudbrak vom Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik in Berlin. Das Institut ist an dem Projekt beteiligt, dessen Startschuss 2008 fiel. Die Ergebnisse der bislang umfangreichsten Kartierung von Genvarianten veröffentlicht das britischen Fachjournal «Nature».
Ziel des 1000-Genom-Projektes ist es, die unzähligen genetischen Unterschiede von Menschen herauszuarbeiten. Die Erkenntnisse und neuen Techniken sollen dazu genutzt werden, die Rolle der Genvarianten bei der Entstehung von Krankheiten zu erforschen, beispielsweise von Krebs. Die erstellte «DNA-Bibliothek» wird der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Sie soll geschätzte 95 Prozent der genetischen Varianten aller Menschen enthalten.
Von deutscher Seite sind an dem Projekt auch das European Molecular Biology Laboratory (Heidelberg) sowie das Institut für Klinische Molekularbiologie der Universität Kiel beteiligt. Bis Ende 2012 wollen die Wissenschaftler das Erbgut von 2500 Menschen aus fünf großen Bevölkerungsgruppen entziffern. Beim Startschuss des Projektes waren mindestens 1000 Teilnehmer angekündigt worden. Das Genom eines Menschen besteht aus etwa drei Milliarden Bausteinen (Basenpaaren).
Die Pilotstudie umfasst Daten von mehr als 800 Menschen, deren Genom unterschiedlich detailliert untersucht wurde. Jeder Mensch besitzt demnach 250 bis 300 Genveränderungen, die dazu führen, dass das jeweilige Gen nicht mehr richtig arbeiten kann.
Vor zehn Jahren legten die US-Forscher Craig Venter und Francis Collins eine Rohversion des menschlichen Erbguts vor. Seitdem sind Genvarianten aufgespürt worden, die Fettsucht, Diabetes oder Herzkreislauferkrankungen bedingen können.
Doch könnten diese Varianten größtenteils nicht die Gendefekte erklären, die in betroffenen Familien identifiziert wurden, schreibt der Forscher Rasmus Nielsen von der Universität in Berkeley (Kalifornien) in einem «Nature»-Begleitartikel. Ein Grund hierfür könnte sein, dass für den Ausbruch von Krankheiten seltene Genvarianten verantwortlich sind, die noch nicht entdeckt wurden.
Genau dem Aufspüren dieser seltenen Varianten hat sich das 1000-Genom-Projekt verschrieben. «Es gibt Krankheiten, die haben eine Veränderung in einem Gen als Ursache, wie zum Beispiel die Chorea Huntington. Viele Krankheiten entwickeln sich aber aus einem Zusammenspiel vieler Genvarianten, und der Ausbruch hängt dann unter anderem von Umwelteinflüssen ab», sagte Prof. Hans Lehrach vom Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik in Berlin. «Viele Erbkrankheiten brechen zudem erst aus, wenn zwei Kopien eines Genes verändert sind», ergänzte Sudbrak.
Der Mensch hat insgesamt 23 Chromosomen-Paare. Die meisten Gene liegen doppelt vor. Ist eines geschädigt, kann sein gesundes Gegenüber gegebenenfalls ausgleichend wirken.
Auf drei unterschiedlichen Wegen haben sich die Forscher bis jetzt ihrem Ziel genähert. Sie entzifferten das Erbgut von zwei Elternpaaren und deren Töchtern zu weiten Teilen. Eine Familie stammt aus Nigeria, die andere aus Utah (USA) und ist europäischer Abstammung. Dabei stellte sich heraus, dass ungefähr 60 Genmutationen bei den Kindern vorkamen, die sie nicht von den Eltern geerbt hatten.
Darüber hinaus sequenzierten die Forscher Teile des Erbguts von 179 Menschen aus Nigeria, den USA, China und Japan. Außerdem erforschten sie Genabschnitte (Exons) von 697 Menschen aus sieben Bevölkerungsgruppen.
Originalveröffentlichung: "A map of human genome variation from population-scale sequencing"; Nature, Volume: 467, Pages: 1061-1073, 28 October 2010