Sand im Getriebe erwünscht - Wie die Proteinsynthese gezielt blockiert wird
Ein Team um Dr. Daniel Wilson und Professor Roland Beckmann, die beide am Genzentrum der LMU arbeiten und dem Exzellenzcluster „Center for Integrated Protein Science Munich“ (CiPSM) angehören, konnten diesen wichtigen Regulationsmechanismus nun entschlüsseln. „Auch wenn es bis dahin noch ein weiter Weg ist, lässt sich damit möglicherweise irgendwann gezielt auf die Genaktivität Einfluss nehmen“, sagt Wilson. „Zunächst wollen wir in weiteren Studien die Stopp-Mechanismen bei anderen Peptiden und anderen Lebewesen untersuchen.“
Mehrzellige Organismen wie der Mensch, aber auch Pflanzen und Pilze gehören zu den Eukaryoten. Deren Zellen verfügen über einen Kern, der das genetische Material enthält. Dies ist aber noch nicht die einzige Besonderheit: In ihrem Zellinneren enthalten eukaryotische Zellen die Ribosomen, die - anhand der genetischen Information aus dem Zellkern - in der sogenannten Translation Proteine produzieren. Proteine wiederum sind als Enzyme, Transportmoleküle und Baumaterial die wichtigsten Funktionsträger der Zelle. „Trotz einer Fülle biochemischer Daten ist über viele Mechanismen der eukaryotischen Proteinbiosynthese noch wenig bekannt“, sagt Dr. Daniel Wilson, Biochemiker am Genzentrum der LMU München.
Besonders rätselhaft sind regulatorische Prozesse, die zum Abbruch der Proteinproduktion führen. Ein Team um Wilson und Professor Roland Beckmann untersuchte deshalb eukaryotische Ribosomen. Die nach einem neu entwickelten Protokoll präparierten Molekülkomplexe synthetisierten jeweils unterschiedliche kleinere Proteine. „In beiden Fällen handelte es sich um sogenannte regulatorische Peptide, also sehr kurze Proteine mit regulatorischer Funktion“, sagt Beckmann.
Während ihrer Synthese durchwandern alle Proteine den sogenannten ribosomalen Tunnel. Eine besondere Eigenschaft der regulatorischen Peptide ist, dass sie mit dieser langgestreckten Öffnung im Ribosom schon während ihrer Herstellung in Wechselwirkung treten und so die Translation stoppen können. Elektronenmikroskopische Untersuchungen zeigten dann im Detail, was bei dieser Interaktion passiert: Das aus Pilzen stammende „Arginine Attenuator Peptid“ (AAP) wird in der Nähe des Peptidyl-Transferase-Zentrums verdichtet, was vermutlich für den Abbruch der Translation entscheidend ist. Zudem trägt die Blockade sowohl bei AAP- als auch bei den Ribosomenkomplexen des humanen Cytomegalovirus (hCMV) – als eine Art Spätfolge - dazu bei, neu entstehende Aminosäureketten an einer Engstelle im ribosomalen Tunnel zu stabilisieren.
„Dies wiederum könnte bei dem höchst sensiblen Prozess der Proteinfaltung von Bedeutung sein“, sagt Wilson. Proteine werden als lange Aminosäureketten synthetisiert, die sich in eine jeweils spezifische dreidimensionale Struktur falten müssen. Fehlerhaft gefaltete Proteine können ihre Funktion nicht oder nur schlecht erfüllen - oder sogar Krankheiten auslösen. „Unsere Ergebnisse gewähren einen ersten Einblick in die Prozesse, die beim Abschalten der Translation eine Rolle spielen“, sagt Beckmann. Wenn solche Mechanismen erst einmal genau verstanden sind, könnten sie etwa durch neuartige Wirkstoffe gezielt aktiviert und deaktiviert werden, was vorerst aber natürlich noch Zukunftsmusik ist.“ Zunächst plant das Team weitere Studien, um die Stopp-Mechanismen bei anderen Peptiden und anderen Lebewesen zu untersuchen.
Originalveröffentlichung: Shashi Bhushan et al.; „Structural basis for translational stalling by human cytomegalovirus (hCMV) and fungal arginine attenuator peptide (AAP)”; Molecular Cell, Band 40 / 1, S. 138-146, 8. Oktober 2010