Pilzköpfe im Vakuum
Kieler Wissenschaftler erforschen biologisch inspirierte Haftstrukturen
Ob vertikal am Fenster hochklettern oder an der Unterseite eines Blattes kleben – von der Tierwelt kann der Mensch in vielerlei Hinsicht etwas lernen. Mit den Fortbewegungsmethoden und speziell den Hafteigenschaften von männlichen Blattkäfern haben sich der angehende Doktorand und Autor der Publikation Lars Heepe und Professor Stanislav Gorb, beide Institut für Spezielle Zoologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), beschäftigt. Gorb: „Die Hafteigenschaften von Tieren bieten sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus technologischer Sicht einen großen Inspirationsreichtum. Seit mehr als zehn Jahren arbeiten Biologen, Physiker, Chemiker und Ingenieure auf dem Gebiet der biologischen und biologisch-inspirierten Haftung zusammen, um die Form und Struktur von tierischen Gliedmaßen mit herausragenden Haftungsei-genschaften zu untersuchen.“
Diese morphologischen Analysen erlauben einen Blick auf Tausende bis Millionen von kleinen Härchen im Mikro- bis Nanometer Bereich, mit deren Hilfe ein intimer Kontakt zum Untergrund aufgebaut werden kann. Dank der Van-der-Waals Kraft ist es den Tieren möglich, zumindest theoretisch bis zu einem Vielfachen ihres eigenen Körpergewichtes zu halten. Auch Feuchtigkeit kann dazu beitragen, dass diese Härchen besseren Halt sogar an glatten Glasflächen bieten.
Detailliertere vergleichende Studien der funktionellen Morphologie dieser Tiere zeigten überdies Unterschiede in den Kontaktgeometrien, also den Enden der Härchen. Als besonders haftstark stellte sich der Pilzkopf heraus. Dieser findet sich beispielsweise unter den Füßen männlicher Blattkäfer. Das internationale Forscherteam (Kooperation mit Dr. Michael Varenberg, Israel) nahm diese Erkenntnisse zum Anlass, um gemeinsam mit einem Industriepartner die Haftstrukturen künstlich nachzubauen und weitere Untersuchungen der beteiligten Haftmechanismen an diesem Modellsystem durchzuführen. „Die biologisch-inspirierte, mikrostrukturierte Polymerfolie haftet aufgrund ihrer pilzkopfförmigen Geometrie etwa doppelt so gut wie eine flache, unstrukturierte Kontrollprobe desselben Materials. Unter Wasser ist der Effekt sogar noch ausgeprägter“, erklärt Heepe. Dies lege die Vermutung nahe, die künstlichen Strukturen wür-den sich wie einfache Saugnäpfe verhalten.
Um dieser Hypothese auf den Grund zu gehen führten die Forscher Experimente im Vakuum durch. Da ein Saugnapf seine Kraft durch die Druckdifferenz generiert, die innerhalb und außerhalb des Saugnapfes herrscht, kann es innerhalb eines Vakuums zu keiner Saugkraft kommen. Bei dem Vergleich der Haftkraft unter Atmosphärendruck und im Vakuum wurde deshalb die strukturierte Polymerfolie gegen eine glatte Glasfläche gedrückt und die Kraft gemessen, um die Folie vom Glas abzuziehen. Dabei hat sich gezeigt, dass die Pilzkopf-Strukturen unter gewissen Umständen einen Saugeffekt aufweisen können, allerdings beträgt dieser maximal zehn Prozent der gesamten Haftkraft. Heepe: „Damit ist der Saugeffekt nicht ursächlich für die Haftung der Polymerfolie verantwortlich. Daraus schließen wir, dass für die erhöhte Haftung dieser klebstoff-freien, wiederverwendbaren Folie eine Kombination der biologisch-inspirierten Geometrie und der Van-der-Waals Kräfte verantwortlich ist.“
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