Mehr Schlagkraft gegen Krebs
Die T-Zellen des Immunsystems tragen auf ihrer Oberfläche Rezeptoren, mit deren Hilfe sie Bakterien, Viren, Pilze erkennen und dafür sorgen, dass das Immunsystem die fremden Eindringlinge bekämpft und zerstört. Gleichzeitig müssen T-Zellen aber fremde von körpereigenen Proteinen (Eiweißen) unterscheiden, damit das Immunsystem körpereigenes Gewebe toleriert. Kann das Immunsystem diese Unterscheidung nicht mehr treffen, attackiert es körpereigene Strukturen und es entstehen sogenannte Autoimmunerkrankungen, wie zum Beispiel Diabetes Typ 1 oder Multiple Sklerose.
Bei Krebserkrankungen jedoch scheint das Immunsystem an die Leine gelegt. Krebszellen stammen aus körpereigenem Gewebe, weshalb das Immunsystem sie offenbar nur schwer erkennt. Und das, obwohl Krebszellen häufig auch Merkmale (Antigene) (griech. von antigennan - dagegen erzeugen) tragen, die sie als Tumorzellen und damit als krankhaft veränderte Zellen kenntlich machen.
Diese Toleranz gegenüber Krebszellen wollen Prof. Thomas Blankenstein und seine Mitarbeiter im MDC und in der Charité jetzt durchbrechen. Sie nutzen dabei einen Prozess, der in Säugetieren automatisch aus unreifen T-Zellen reife Immunzellen macht. Unreife T-Zellen haben noch keinen T-Zell-Rezeptor. Sie müssen deshalb aus dem Knochenmark in den Thymus wandern. In dieser Drüse, die Teil des Immunsystems ist, lagern sich die Gene des T-Zell-Rezeptors, mit dem die T-Zelle das Antigen erkennt, nach dem Zufallsprinzip um.
Jede der millionenfach produzierten T-Zellen prägt nur einen T-Zell-Rezeptor auf der Zelloberfläche aus, mit dem ein Antigen erkannt wird. Im Thymus wird aber auch sichergestellt, dass alle T-Zellen, die körpereigene Strukturen erkennen, ausgeschaltet werden. T-Zellen, die spezifisch für fremde Antigene sind, werden von diesen Toleranzmechanismen verschont. Die Maus, beispielsweise, entwickelt keine Toleranz gegen Antigene menschlicher Krebszellen.
„Keine andere transgene Maus enthält vermutlich so viele menschliche Genabschnitte“ T-Zell-Rezeptoren bestehen aus einer alpha und einer beta Kette. Prof. Blankenstein und seine Mitarbeiter haben DNA-Bausteine des Menschen für diese Ketten mit Hilfe eines künstlichen Chromosoms (YAC - Yeast Artificial Chromosome) vermehrt und dann in embryonale Stammzellen der Maus geschleust. Insgesamt waren es circa 2 Millionen DNA-Bausteine, was 2 Megabasen oder rund 170 Gensegmenten entspricht. „Vermutlich enthält keine andere transgene Maus so viele menschliche Genabschnitte“, sagt Prof. Blankenstein.
Transgene Maus mit humanen T-Zell-Rezeptoren
Mit den mit humaner DNA beladenen embryonalen Stammzellen züchteten die Forscher in Berlin in zehnjähriger Entwicklungsarbeit transgene Mäuse, die auf ihren T-Zellen alle möglichen T-Zell-Rezeptoren des Menschen bilden. „Diese humanen T-Zell-Rezeptoren in der Maus erkennen humane Antigene menschlicher Krebszellen. Für die Mäuse sind humane Tumorantigene fremd, erläutert Prof. Blankenstein das Ergebnis. „Solche hochwirksamen T-Zell-Rezeptoren gibt es beim Menschen nicht. Sie werden beim Menschen zerstört, um zu verhindern, dass sie körpereigene Strukturen angreifen. Übrig bleiben nur T-Zellen mit weniger wirksamen T-Zell-Rezeptoren“, betont er.
Ziel ist, „hoch-affine“ humane T-Zell-Rezeptoren der Maus, für die menschliche Krebs-Antigene fremd sind, zu isolieren und in die T-Zellen von Krebspatienten einzuschleusen. Dadurch sollen die wirkungslosen T-Zellen der Patienten hochwirksam für die Zerstörung der Krebszellen gemacht werden. Im Gegensatz zu einer Knochenmarktransplantation, bei der im Empfänger viele T-Zellen des Transplantats aktiviert werden, was zu lebensgefährlicher Zerstörung gesunder Zellen führen kann, ist dieser Therapieansatz sehr selektiv. Damit hoffen die Forscher eine überschießende Reaktion des Immunsystems zu vermeiden.
Ob die hochgerüsteten humanen T-Zellen aus der Maus im Menschen ihre große Wirksamkeit behalten, wird sich aber erst noch zeigen müssen. Derzeit bereiten die Forscher eine erste klinische Studie vor, in der sie die Wirksamkeit und Verträglichkeit dieser T-Zell-Rezeptoren bei Krebspatienten erproben werden.
Prof. Blankenstein ist auch Sprecher des Transregio-Sonderforschungsbereich (SFB) „Grundlagen und Anwendungen der adoptiven T-Zell-Therapie“ in Berlin und München. Dieser von der Deutschen Forschungsgemeinschaft bis 2014 geförderte SFB erforscht neue Ansätze in der Krebstherapie unter Zuhilfenahme des Immunsystems. An dem Projekt sind in Berlin neben der Charité und dem MDC auch das Deutsche Rheumaforschungszentrum beteiligt, sowie in München das „Helmholtz Zentrum München Deutsches Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit“ und die Technische Universität und die Ludwig-Maximilians-Universität.
Originalveröffentlichung: "Transgenic mice with a diverse human T-cell antigen receptor repertoire"; Nature Medicine