Der "geheime" Zwei-Stufen-Plan zur Zellverteidigung
Zellen können auf vielfältige Weise auf ihre Umgebung reagieren, um sich gegen Angriffe von Erregern zu verteidigen. In der Regel modifizieren sie vorhandene Proteine oder stellen neue her, die dann wiederum Abwehrstoffe produzieren. Ein klassisches Beispiel für eine solche Verteidigungsreaktion ist die Produktion von Stickstoffmonoxid (NO), das eine stark antibakterielle Wirkung aufweist. Dieser "zelluläre Giftgasangriff" ist aber nicht ganz ungefährlich: NO ist ein aggressives freies Radikal, das mit der Entstehung von Krebs und entzündlichen Prozessen im Körper in Zusammenhang steht. Um also nicht mit Kanonen auf die sprichwörtlichen Spatzen zu schießen, "informiert" sich die Zelle umfassend, bevor sie ihre NO-Produktion hochfährt.
Wie die Zelle das bewerkstelligt, haben Matthias Farlik unter der Leitung von Thomas Decker vom Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Wien (Max F. Perutz Laboratories) und Mathias Müller von der Veterinärmedizinischen Universität Wien untersucht. Sie konnten nicht nur die Geheimnisse der NO-Produktion lüften, sondern entdeckten auch einen neuen Regulationsmechanismus für die Gen-Transkription. Damit liefert die Forschungsgruppe einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des molekularen Kontrollmechanismus der Gen-Transkription, also der Übersetzung des genetischen Codes zur Produktion von Proteinen. In weiterer Folge könnten die Erkenntnisse der Wissenschaftler neue Strategien bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten eröffnen.
Zelle überprüft zwei Signale, bevor sie ihren Angriff startet
Die Forscher untersuchten diese Prozesse am Bakterium "Listeria monocytogenes", einem der häufigsten und gefährlichsten Erreger von Lebensmittelinfektionen. Als Reaktion auf eine Infektion mit Listerien produzieren Zellen das Enzym iNOS - induzierbare NO-Synthase, das wiederum Stickstoffmonoxid herstellt. Um die Enzymproduktion zu regulieren, überprüft die Zelle den Status zweier unterschiedlicher Signalwege und kombiniert die Informationen daraus. Die Forscher konnten zeigen, dass jedes der beiden Signale nur einen Teil des Prozesses steuert. Erst wenn beide Signalwege aktiv sind, wird ein Proteinkomplex hergestellt, der das für die iNOS-Produktion verantwortliche Gen einschaltet.
"Die Zelle hat sozusagen einen zweistufigen Alarmplan", erklärt Thomas Decker, Leiter der Forschungsgruppe von Matthias Farlik am Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Wien: "Es müssen also beide Signale vorhanden sein, damit die iNOS in Stellung gebracht werden und die NO-Produktion startet."
Was aber, wenn die Signale nicht zeitgleich eintreffen?
Ein Problem dabei ist, das diese Signale nicht immer zeitgleich eintreffen. Die Zellen lösen dieses Problem auf geradezu geniale Weise: Jeder der Signalwege führt unabhängig voneinander zur Produktion eines Bestandteiles des Proteinkomplexes. Dieser bleibt eine Weile bestehen und bildet somit eine Art molekulares Gedächtnis. Wird auch der zweite Signalweg rechtzeitig aktiviert, schaltet der vollständige Proteinkomplex das Gen für die iNOS-Produktion ein. Kommt das zweite Signal nicht, wird der Teilkomplex wieder abgebaut, das ursprüngliche Signal wird damit "vergessen" und das Gen kann erst wieder aktiviert werden, wenn neuerlich beide Signale eintreffen.
Originalveröffentlichung: Matthias Farlik et al.; "Nonconventional Initiation Complex Assembly by STAT and NF-kB Transcription Factors Regulates Nitric Oxide Synthase Expression"; Immunity, Vol.32, issue 7, July 2010