Neuer möglicher Angriffspunkt für Therapie bei Darmkrebs
Forschungsarbeit zeigt, dass im entzündeten Darm häufig vorkommendes Protein eine wichtige Rolle bei der Krebsentstehung spielen könnte
Menschen mit chronischen Darmentzündungen haben ein erhöhtes Risiko auch an Darmkrebs zu erkranken. Doch die genauen Mechanismen dahinter sind noch weitestgehend unbekannt. Forschende des Exzellenzclusters „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) und der DFG Forschergruppe „miTarget“ versuchen daher diesen Zusammenhang besser zu verstehen. Nun hat ein Kieler Forschungsteam gezeigt, dass ein Protein, das bei Patientinnen und Patienten mit chronischen Darmentzündungen ungewöhnlich häufig vorkommt, auch in Verbindung mit Darmkrebs steht. Wird das zuständige Gen bei Krebszellen entfernt, so dass das Protein nicht mehr hergestellt werden kann, wird das Tumorwachstum gehemmt. Ihre Ergebnisse haben die Forschenden unter der Leitung von PD Dr. Felix Sommer vom Institut für Klinische Molekularbiologie (IKMB) der Medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel, vor kurzem im Fachjournal Cancer Communications veröffentlicht. Die Arbeit entstand in enger Kooperation innerhalb von PMI mit den Arbeitsgruppen von Professor Philip Rosenstiel (IKMB), Professor Jan Rupp (UKSH Lübeck, Institut für Medizinische Mikrobiologie), Professor Christoph Kaleta (Institut für Experimentelle Medizin, IEM), Professor Andreas Tholey (IEM) und Professor Christoph Röcken (UKSH Kiel, Institut für Pathologie).

Fehlte in den Experimenten in Zellkultur, Organoiden und Mausmodell das Enzym HKDC1, konnten sich Tumore gar nicht oder nur stark reduziert ausbilden.
AI generated /Felix Sommer Lab, Kiel University
Protein HKDC1 beeinflusst Tumorwachstum im Darm
Das Protein HKDC1 (hexokinase domain containing 1) gehört mit vier weiteren ähnlichen Enzymen zur Familie der Hexokinasen. Das sind Enzyme, die vor allem beim Kohlenhydratstoffwechsel im Körper eine wichtige Rolle spielen. Vorangegangene Forschung hatte bereits gezeigt, dass HKDC1 eine Rolle bei einigen Krebstypen spielt. Für Darmkrebs gab es bisher jedoch keine Ergebnisse. Außerdem hatten Wissenschaftler des Exzellenzclusters PMI unter der Leitung von Professor Rosenstiel bereits gezeigt, dass HKDC1 bei Menschen mit chronischen Darmentzündungen hochreguliert ist. „Darüber hinaus wissen wir, dass HKDC1 vor allem im Darm vorkommt. Daher fragten wir uns, was es dort macht und ob es einen Einfluss auf die Krebsentstehung im Darm hat“, berichtet eine der beiden Erstautorinnen, Doktorandin Lea Järke aus der Arbeitsgruppe „Funktionelle Wirt-Mikrobiom Forschung“ am IKMB.
Die Arbeitsgruppe von PD Dr. Felix Sommer untersuchte daher in verschiedenen Experimenten, welche Auswirkungen es hat, wenn man in Darmkrebszellen das für die Herstellung des Proteins zuständige Gen entfernt. Wenn es nicht mehr vorhanden ist, kann die Zelle auch das Protein nicht mehr herstellen. Die Experimente haben sie sowohl in Zellkultur, in Organoiden – das sind künstliche Darm-Modelle in der Petrischale – als auch in Mausmodellen durchgeführt. „Wir konnten unter anderem beobachten, dass sich die Krebszellen ohne HKDC1 nicht mehr ungehindert teilen, sie anfälliger werden für Signale von außen, die zu ihrem Absterben führen und als Folge sich die Tumoren entweder gar nicht oder nur stark reduziert ausbilden“, berichtet die zweite Erstautorin, Doktorandin Saskia Weber-Stiehl, ebenfalls aus der Arbeitsgruppe „Funktionelle Wirt-Mikrobiom Forschung“ am IKMB. Ob die Ergebnisse möglicherweise auch auf den Menschen übertragbar sind, muss weitere Forschung zeigen.
Blockierung des Enzyms könnte bei Darmentzündung und Darmkrebs helfen
Die überdurchschnittlich hohe Produktion von HKDC1 bei Menschen mit chronischen Darmentzündungen könnte also eine Erklärung sein dafür, warum diese Patienten und Patientinnen häufiger zusätzlich an Darmkrebs erkranken. Die Erkenntnisse könnten für eine mögliche Therapie relevant sein: Sowohl Darmkrebs als auch chronische Darmentzündung könnten beeinflusst werden, wenn man HKDC1 blockiert – etwa durch chemische Inhibitoren oder durch gezielte Eingriffe in das Mikrobiom. Es ist bekannt, dass einige Krebstherapien vom Mikrobiom abhängig sind. Denn die Bakterien im Darm produzieren beispielsweise Enzyme, die Wirkstoffe in Krebsmedikamenten abschalten oder auch erst aktiv machen können. Zusätzlich haben die Forschenden aus Kiel bereits für andere Mitglieder der Hexokinase-Familie gezeigt, dass diese durch das Mikrobiom reguliert werden können. „Auch bei HKDC1 ist es denkbar, dass das Mikrobiom im Darm die Produktion des Enzyms beeinflusst. Das ist Gegenstand unserer aktuellen Forschung“, sagt Sommer. „Wir möchten also langfristig herausfinden, ob wir über Veränderungen des Mikrobioms die Hexokinase und so das Tumorwachstums unterdrücken können“, so Sommer weiter.
Originalveröffentlichung
Lea Järke, Saskia Weber‐Stiehl, Kensuke Shima, Karlis Arturs Moors, Jerome Genth, Fenja Amrei Schuran, Lena Best, Markus Tschurtschenthaler, Burkhardt Flemer, Silke Lüschen, Christoph Röcken, Andreas Tholey, Christoph Kaleta, Jan Rupp, Philip Rosenstiel, Felix Sommer; "Deletion of epithelial HKDC1 decelerates cellular proliferation and impairs mitochondrial function of tumorous epithelial cells thereby protecting from intestinal carcinogenesis"; Cancer Communications, 2025-3-20