Revolution in der Diagnostik?
Sensitiver, schneller, kostengünstiger: Forschende der Universität Jena entwickeln Biosensor auf Graphen-Basis
Genau wie andere Biosensoren benötigt ein Graphen-basierter Biosensor eine funktionalisierte Oberfläche, auf der sich nur spezifische Moleküle anlagern. Will man also beispielsweise aus einer Blut- oder Speichelprobe einen ganz bestimmten Biomarker detektieren, so muss auf der Sensoroberfläche ein entsprechendes Gegenstück – ein sogenanntes Fängermolekül – aufgebracht sein. Das Problem: „Funktionalisiert man Graphen auf direkte Weise, dann verändert sich seine elektronische Struktur ungünstig“, erklärt Prof. Dr. Andrey Turchanin von der Universität Jena. „Graphen ist dann nicht mehr Graphen – die spezifischen elektronischen Eigenschaften, die man sich eigentlich zunutze machen will, stehen dann nicht mehr zur Verfügung.“ Parameter, die die hohe Sensitivität eines solchen Biosensors ausmachen – zum Beispiel die Mobilität der Ladungsträger – seien zu stark beeinflusst.
Funktionalisierung dank molekularer Zwischenschicht
Doch Turchanin und sein Team haben nun gemeinsam mit Partnern aus Wirtschaft, Forschung und Medizin eine Methode entwickelt, wie sich das Graphen störungsfrei funktionalisieren lässt. „Wir haben auf das Graphen eine molekulare Kohlenstoffmembran aufgebracht, die mit einem Nanometer genauso dünn ist wie Graphen. Diese Zwischenschicht ist dielektrisch – das heißt, sie leitet keinen elektrischen Strom“, erklärt der Jenaer Chemiker. „Beide Komponenten sind durch sogenannte van-der-Waals-Kräfte miteinander verbunden und bilden eine Heterostruktur, die wir funktionalisieren konnten, ohne die elektronischen Eigenschaften des Graphens zu beeinflussen.“ Denn auf die molekulare Zwischenschicht lassen sich störungsfrei chemisch aktive funktionale Gruppen aufbringen, an die sich beliebig viele und unterschiedliche Fängermoleküle anbinden lassen. Lagern sich die gesuchten Gegenstücke an, dann leiten sie das elektrische Feld an das Graphen weiter, was die elektrischen Signale in diesem Material ändert, ohne seine Eigenschaften zu beeinträchtigen.
Untersuchung von komplexen klinischen Proben
Als Fängermoleküle statteten die Forschenden die chemisch aktive funktionale Gruppe auf der molekularen Zwischenschicht mit künstlich produzierten Aptameren aus, die sehr gezielt spezifische Moleküle binden können. Außerdem funktionalisierten sie die Kohlenstoffnanomembran mit einer proteinabweisenden Schicht aus Polyethylenglykol, einem synthetischen Polymer, das in der Medizin häufig angewendet wird. Sie verhindert, dass etwas auf der Oberfläche adsorbiert, was nicht gesucht wird. Auf diese Weise lassen sich in einer komplexen biologischen Probe die gesuchten Biomarker finden.
Mit dieser Versuchsanordnung gelang es den Jenaer Expertinnen und Experten, Chemokine zu detektieren – also eine bestimmte Proteingruppe, die im menschlichen Immunsystem eine wichtige Rolle spielt und deshalb als Biomarker bei der Diagnose von Krankheiten eine große Rolle spielen kann. „Dank der Kooperation mit einem medizinischen Labor in den Niederlanden verwendeten wir für diese Versuche Proben aus Nasenabstrichen von echten Patienten“, sagt Andrey Turchanin. „Außerdem lassen sich mit dem entwickelten Graphen-Sensoren nicht nur ein Biomarker finden, sondern hunderte“, ergänzt Dr. David Kaiser, der Erstautor der Veröffentlichung.
Sensitiver, schneller, kostengünstiger
„Das vorliegende Forschungsergebnis kann wegweisend für die Diagnostik der Zukunft sein, denn wir konnten eine große Hürde auf dem Weg zum Graphen-basierten Biosensor beseitigen, der in seiner Effektivität alles deutlich übertrifft, was heute im normalen klinischen Bereich Anwendung findet“, sagt der Chemiker Kaiser von der Universität Jena. „Er ist wesentlich sensitiver, deutlich schneller – in etwa fünf Minuten liegen die Ergebnisse vor – und kostengünstig, wenn man ihn in großer Stückzahl produziert.“ Das Messprinzip ist rein elektrisch – allein Veränderungen im elektrischen Strom zeigen an, ob die gesuchten Biomarker gefunden wurden. Dementsprechend lässt sich ein solcher Biosensor problemlos in Verbindung mit einem handlichen Point-of-Care-Gerät in den klinischen Alltag integrieren. „Vermutlich geht das sogar mit unseren Handys“, sagt Turchanin.
Originalveröffentlichung
David Kaiser, Nikolaus Meyerbroeker, Werner Purschke, Simone Sell, Christof Neumann, Andreas Winter, Zian Tang, Daniel Hüger, Christian Maasch, Lucas Bethge, Thomas Weimann, Gerben Ferwerda, Marien I. de Jonge, Albert Schnieders, Axel Vater, Andrey Turchanin; "Ultrasensitive Detection of Chemokines in Clinical Samples with Graphene‐Based Field‐Effect Transistors"; Advanced Materials, 2024-11-20
Weitere News aus dem Ressort Wissenschaft
Diese Produkte könnten Sie interessieren
Meistgelesene News
Weitere News von unseren anderen Portalen
Verwandte Inhalte finden Sie in den Themenwelten
Themenwelt Diagnostik
Die Diagnostik ist das Herzstück der modernen Medizin und bildet in der Biotech- und Pharmabranche eine entscheidende Schnittstelle zwischen Forschung und Patientenversorgung. Sie ermöglicht nicht nur die frühzeitige Erkennung und Überwachung von Krankheiten, sondern spielt auch eine zentrale Rolle bei der individualisierten Medizin, indem sie gezielte Therapien basierend auf der genetischen und molekularen Signatur eines Individuums ermöglicht.
Themenwelt Diagnostik
Die Diagnostik ist das Herzstück der modernen Medizin und bildet in der Biotech- und Pharmabranche eine entscheidende Schnittstelle zwischen Forschung und Patientenversorgung. Sie ermöglicht nicht nur die frühzeitige Erkennung und Überwachung von Krankheiten, sondern spielt auch eine zentrale Rolle bei der individualisierten Medizin, indem sie gezielte Therapien basierend auf der genetischen und molekularen Signatur eines Individuums ermöglicht.