Modellsystem für Entwicklung von Wirkstoffkandidaten für kondensatverändernde Therapeutika geschaffen

Modellsystem kann Fibrillen erstmalig wieder in ihre Einzelteile oder deren Flüssigkeitströpfchen zerlegen

18.11.2024
© Surbhi Sharma / JGU

(v.l.) Prof. Dr. Shikha Dhiman und Mohit Kumar im Labor an der JGU

Ob bei Alzheimer oder Parkinson – die Ursache zahlreicher Krankheiten liegt im molekularen Bereich unseres Körpers, genauer gesagt in den Proteinen. Im gesunden Körper sind sie für zahlreiche Funktionen verantwortlich. Um ihre Aufgaben zu erfüllen, lagern sie sich mitunter zu Gruppen aus fünf oder zehn Proteinen zusammen, nach getaner Arbeit gehen sie wieder ihrer eigenen Wege. Kommt es jedoch zu größeren Zusammenrottungen von hundert oder mehr Proteinen zu sogenannten Fibrillen, also in Bündeln langer, fadenförmiger Protein-Filamente, sind die auftretenden Kräfte so stark, dass sich die Proteine nicht mehr voneinander trennen lassen. Die Folge dieser Verklumpung sind Krankheiten verschiedenster Art. Lagern sich die Fibrillen beispielsweise im Gehirn ab, vergrößern sie den dort auftretenden Druck und rufen neurodegenerative Erkrankungen hervor.

Aufbrechen von Fibrillen erstmalig gelungen

Die Bildung von Fibrillen ist meist irreversibel – im Körper und bislang auch in Modellsystemen. Prof. Dr. Shikha Dhiman von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und Prof. Dr. Lu Su von der Universität Leiden in den Niederlanden haben nun gemeinsam mit den beiden Promovierenden Mohit Kumar in Mainz und Heleen Duijs in Leiden ein Modellsystem entwickelt, mit dem diese Fibrillen in einzelne Einheiten oder ihre Flüssigkeitströpfchen aufgespalten werden können. "Es ist das erste Modellsystem, mit dem eine solche Umkehr ohne eine chemische Reaktion gelungen ist", berichtet Dhiman.

In den Fibrillen interagieren die einzelnen Einheiten über nicht-kovalente Bindungen wie Wasserstoffbrückenbindungen miteinander. Für sich allein sind diese nicht sehr stark, es ist die Masse an Bindungen sowie die Ordnung, die zur hohen Stabilität der Fibrillen führt. Die Forschenden wenden daher einen Trick an: Sie geben Substanzen hinzu, die sich in eine Art "Taschen" in den Fibrillen einlagern und die Struktur instabil werden lassen. "Wir bringen also konkurrierende Bindungspartner ein. Diese binden an die einzelnen Einheiten, die Interaktion zwischen den Einheiten wird somit unnötig, die Fibrille bricht auf", erklärt Dhiman.

Modellsystem ermöglicht systematische Untersuchung

Eine weitere Besonderheit des Modellsystems: Es ermöglicht die systematische Untersuchung aller änderbaren Parameter. Bislang war die Forschung davon ausgegangen, dass sich Einzelproteine zu Fibrillen zusammenfinden. Dies konnte jedoch kürzlich widerlegt werden: Mehrere Proteine lagern sich zunächst mit Wasser und Salzen in flüssigen Tropfen zusammen, wobei sich die Proteine an der Oberfläche des Tropfens anordnen – ein sehr wichtiger Zwischenzustand bei der Bildung von Fibrillen. Im Gegensatz zu den Fibrillen übernehmen diese Tropfen eine Funktion im Körper und können sich wieder in Proteine auftrennen. "In unserem Modellsystem können wir alle drei Zustände abbilden, also Einheiten, flüssige Tropfen und Fibrillen", erläutert Prof. Dr. Shikha Dhiman vom Department Chemie der JGU, leitende Wissenschaftlerin des Forschungsverbunds CoM2Life – Communicating Biomaterials: Convergence Center for Life-Like Soft Materials and Biological Systems, mit dem sich die JGU in der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder um Förderung als Exzellenzcluster bewirbt.

Basis für die Entwicklung neuer Therapien

Auf lange Sicht kann das Modellsystem dabei helfen, Medikamente gegen verschiedene Krankheiten zu entwickeln, unter anderem gegen neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson. Denn anders als in komplexen Systemen wie Zellen lassen sich hier alle Parameter gut untersuchen. Was führt dazu, dass sich Proteintropfen zu Fibrillen zusammenlagern? Wie lässt sich dies kontrollieren? Und wie können Fibrillen optimal aufgebrochen werden? Sind solche grundlegenden Fragen geklärt, kann die Untersuchung in Zellen folgen. Die Basis für ein großflächiges Wirkstoffscreening ist also gelegt. "Die potenziellen therapeutischen Anwendungen sind enorm", betont Lu Su, Assistent Professor am Leiden Academic Center for Drug Research. "Für die Zukunft stellen wir uns Medikamente vor, die auf diesem Modell basieren und pathologische Fibrillen gezielt auflösen können, um Krankheitssymptome zu lindern und letztlich die Ergebnisse für die Patienten zu verbessern."

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