Insektenbioraffinerie erfolgreich aufgebaut: So werden Bioabfälle zu neuen Wertstoffen

Die Liste der möglichen Endanwendungen ist lang: Konkret entstehen am Ende chemische Grundstoffe

24.10.2024
© Fraunhofer IGB

Besichtigung der InBiRa-Insektenbioraffinerie: Als Vertreter der EU- und Landespolitik begutachten Nicolas Gibert-Morin (dritter von links) und Staatssekretär Dr. Andre Baumann (dritter von rechts) die Larvenmast am Fraunhofer IGB.

Am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart wurde erfolgreich eine Insektenbioraffinerie aufgebaut − dank einer Förderung durch das Landesministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg mit Landes- und EU-Mitteln. In dieser verwerten die Larven der Schwarzen Soldatenfliege organische Reststoffe und Bioabfälle und produzieren dabei begehrte Wertstoffe, z.B. für die Chemieindustrie. Nach drei Jahren Forschung fand das Projekt »InBiRa« nun seinen Abschluss. Zu diesem Anlass stellten die Fraunhofer-Forschenden und ihre Partner die Projektergebnisse bei einer Abschlusskonferenz vor. Ihr Fazit: Die Pilotanlage bietet eine einzigartige neue Plattform für innovative technische Produkte.

Wohin mit überlagerten Lebensmitteln und Bioabfällen aus Gastronomie und Biotonne? Jedenfalls muss nicht zwangsläufig alles einfach nur als Biomüll entsorgt und beispielsweise kompostiert werden. Was nicht mehr essbar ist, lässt sich trotzdem sinnvoll als Ressource nutzen. Möglich machen es die Larven der Schwarzen Soldatenfliege: Sie vertilgen die Abfälle nicht einfach nur, sie produzieren bei ihrem Wachstum Wertstoffe, die für die Industrie interessant sind − Proteine, Fette oder Chitin, aus denen Folgeprodukte hergestellt werden können. Am Fraunhofer IGB in Stuttgart wurde im Projekt »InBiRa« in den vergangenen drei Jahren erstmals eine Insektenbioraffinerie aufgebaut, um die Mast, Verarbeitung und Verwertung der Insekten im Pilotmaßstab zu erforschen.

Am 21. Oktober 2024 lud das Fraunhofer IGB alle Projektpartner, Vertreterinnen und Vertreter aus der Politik sowie potenzielle Anwender − z. B. aus der Abfallwirtschaft − zur InBiRa-Abschlusskonferenz ein. Am Institut in Stuttgart erhielten die Teilnehmenden nicht nur einen Überblick über die Projekterfolge, sondern konnten sich die dort aufgebaute Pilotanlage dabei auch anschauen. Bei dieser Gelegenheit zog Projektleiterin Dr.-Ing. Susanne Zibek, die am Fraunhofer IGB die Arbeitsgruppe Bioprozessentwicklung im Innovationsfeld Industrielle Biotechnologie führt, Bilanz nach drei Jahren intensiver Forschungsarbeit: »Mit unserer Insektenbioraffinerie können wir überlagerte Lebensmittel und Bioabfälle als Rohstoff für hochwertige technische Produkte nutzen und damit erstmals eine heimische Quelle für kurzkettige Fette erschließen, die tropische Fette in vielen Anwendungen ersetzen könnten.«

Komplexer Prozess: Wie funktioniert eine Bioraffinerie?

Im Rahmen der Konferenz ging Zibek insbesondere auf die Komplexität der aufgebauten Pilotanlage ein. »Grundsätzlich ähnelt das Prinzip einer Bioraffinerie dem einer klassischen Erdölraffinerie«, so die promovierte Chemieingenieurin. »Auch hier wird ein Rohstoff mit komplexer Zusammensetzung in seine einzelnen Bestandteile aufgetrennt.« In der InBiRa-Anlage werden alle benötigten Prozessschritte im Pilotmaßstab abgebildet. Das beginnt bei der Mast der Larven (dem »Farming«), geht über die Trennung der Fett- und Proteinfraktion (Primärraffination) weiter und reicht bis zu deren Umwandung zu den jeweils gewünschten Zwischenprodukten (Sekundärraffination).

Während der drei Jahre Projektlaufzeit wurden alle Schritte intensiv durchgeführt und ausführlich evaluiert. »Dafür haben wir ca. 20 Prozesseinheiten definiert, verfahrenstechnisch für die vorhandenen Stoffströme ausgelegt und schließlich für die Pilotanlage am IGB aufgebaut − daran zeigt sich schon die Komplexität des Verfahrens«, erläutert Zibek.

Bioraffinerie mit großem Potenzial, um technische Produkte nachhaltig herzustellen

Konkret entstehen am Ende chemische Grundstoffe – sogenannte Plattformchemikalien – für Kraftstoffe, Kosmetika, Reinigungsmittel, Kunststoffe oder auch Pflanzendünger. Die Liste der möglichen Endanwendungen ist lang. Die Insektenbioraffinerie birgt also ein enormes Potenzial für die erfolgreiche Transformation hin zu einer kreislaufbasierten Bioökonomie, wie sie etwa in der Landesstrategie Nachhaltige Bioökonomie Baden-Württemberg angestrebt wird.

Da Baden-Württemberg auf bioökonomische Ansätze setzt, um nachhaltiger zu werden, war das Interesse der Landespolitik − und auch darüber hinaus − entsprechend groß. Allen voran nahmen Vertreterinnen und Vertreter aus dem Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg, dem Landesministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz sowie von der Europäischen Kommission an der Abschlusskonferenz teil.

Das Umweltministerium Baden-Württemberg förderte den Aufbau der InBiRa-Anlage am Fraunhofer IGB mit Mitteln des Landes und des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), die im Rahmen des EFRE-Programms »Bioökonomie – Bioraffinerien zur Gewinnung von Rohstoffen aus Abfall und Abwasser – Bio-Ab-Cycling« vergeben wurden.

Stimmen aus der Politik: Forschungserfolge dank EFRE-Förderung von Land und EU

So zeigte sich Dr. Andre Baumann, Staatssekretär im Umweltministerium, beeindruckt von dem, was in den vergangenen drei Jahren an dem Forschungsinstitut in Stuttgart entstanden ist: »Ich habe dieses Projekt mit großem Interesse verfolgt und bin begeistert von den heute vorgestellten Forschungsergebnissen. Es zeigt deutlich: Eine Insektenbioraffinerie birgt ein großes Potenzial für die Herstellung vielfältiger und hochwertiger Produkte und bietet damit interessante Wertschöpfungsoptionen.« Der Umweltstaatssekretär unterstrich die Bedeutung des Systemansatzes für die Kreislaufführung von Stoffen: »Die zirkuläre Bioökonomie leistet schon heute einen wichtigen Beitrag, um die großen gesellschaftlichen Herausforderungen bei der Ressourcensicherheit und der Rohstoffknappheit bewältigen zu können. Als Land unterstützen wir diesen Prozess sehr gerne – sowohl mit finanziellen Förderungen wie beispielsweise für das InBiRa-Projekt, aber auch mit der Landesstrategie Nachhaltige Bioökonomie oder unserem Einsatz für die Ausgestaltung der passenden regulatorischen Rahmenbedingungen.«

Dass die Mittel aus dem EFRE-Programm gut eingesetzt wurden, bestätigt auch Nicolas Gibert-Morin, der als Vertreter der EU zur InBiRa-Konferenz in die schwäbische Landeshauptstadt angereist war. »Die Europäische Kommission unterstützt mit dem EFRE gerne Projekte wie die Insektenbioraffinerie: hoch innovativ, kreislauforientiert und ressourceneffizient. Wir freuen uns über den erfolgreichen Abschluss des Projektes und sind gespannt, wie es weitergeht, hoffentlich bald mit einem marktreifen Produkt.«, so der Leiter des Referats REGIO F.2, Generaldirektion Regionalpolitik und Stadtentwicklung (DG Regio), der EU-Kommission.

Projektpartner diskutieren bei Abschlusskonferenz über die Zukunft der Insekten-Bioraffinerie

Neben dem Fraunhofer IGB, dem die Koordination des Projekts unter Leitung von Dr.-Ing. Susanne Zibek oblag, waren weitere Partner aus Forschung und Industrie am InBiRa-Projekt beteiligt. So steuerten das Institut für Grenzflächenverfahrenstechnik und Plasmatechnologie (IGVP) und für Siedlungswasserbau Wassergüte- und Abfallwirtschaft (ISWA) der Universität Stuttgart ihre jeweiligen wissenschaftlichen Kompetenzen bei, ebenso das ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg gGmbH. Von Industrieseite war die Hermetia Baruth GmbH mit ihrer Expertise bei der Insektenmast involviert und die PreZero Stiftung & Co. KG stellte Bioabfälle für den Betrieb der InBiRa-Anlage zur Verfügung.

Am Ende der Abschlusskonferenz erörterten die Beteiligten aus Forschung, Politik mit potenziellen Anwendern aus der Abfallwirtschaft in einer Podiumsdiskussion die Potenziale der neuen Technologie sowie die Herausforderungen hinsichtlich regulatorischer Rahmenbedingungen und mögliche Lösungsansätze. InBiRa-Projektleiterin Zibek zeigte sich nach Projektabschluss optimistisch, dass die entwickelte Bioraffinerie schon bald konkrete Anwendung in der Praxis finden wird: »Ich bin zuversichtlich, dass wir demnächst einen Transfer in die Industrie umsetzen können, sodass wir mit den Larven eine sinnvolle Verwertung von überlagerten und sogar verdorbenen Lebensmitteln zu neuen Produkten für die chemische Industrie herstellen können.«

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