Enzyme in Spinnengiften zeigen bioökonomisch nutzbares Potenzial

Erstaunliche Entdeckung: Chemische Vielfalt in Spinnengiften bisher dramatisch unterschätzt

09.10.2024
Louis Roth

Der Giftcocktail von Spinnen – hier die Wolfsspinne Lycosa praegrandis – enthält Enzyme, die für eine bioökonomische Anwendung interessant sein könnten.

Als Gifttiere setzen Spinnen die von ihnen produzierten Wirkstoffe zum Beutefang oder zur Verteidigung ein. Dabei wirken kleine Neurotoxine schädigend auf das zentrale Nervensystem des Gegenübers. Während die Toxine in der Forschung intensiv analysiert werden, haben Wissenschaftler*innen des hessischen LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG) ihren Blick auf die ebenfalls im komplexen Giftcocktail enthaltenen Enzyme gelegt. Dabei entdeckten sie eine große, bisher übersehene Vielfalt der Eiweißmoleküle, die biochemische Stoffwechselprozesse antreiben. Interessant könnten diese laut der Forscher*innen auch für eine bioökonomische Anwendung sein.

Mit weltweit rund 52.000 Arten sind Spinnen besonders artenreich und produzieren die komplexesten aller Tiergifte: Das Gift einer Spinne kann mehr als 3.000 Moleküle beinhalten. Diese gehören hauptsächlich zur Gruppe der kleinen Neurotoxine und dienen dem Fangen von Insekten. Ein Forschungsteam des LOEWE-Zentrums TBG am Gießener Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie, Institutsteil Bioressourcen (IME-BR), hat sich nun den bisher unbekannten Bestandteilen im Spinnengift gewidmet und dabei Erstaunliches entdeckt. In ihrer Studie zeigen sie, dass neben den bisher im Blickpunkt stehenden Neurotoxinen eine große Vielfalt an Enzymen in Spinnengiften zu finden ist. Ihre Ergebnisse sind im Journal „npj Biodiversity“ veröffentlicht, das zur Gruppe der „Nature“-Fachzeitschriften gehört.

„In der Vergangenheit deuteten einige wissenschaftliche Arbeiten zwar auf die Präsenz von Enzymen in Spinnengiften hin, doch eine gezielte Suche nach ihnen wurde nie durchgeführt. Wir haben uns dieser Aufgabe gestellt und systematisch die Rohdaten aller Spinnen, die bisher hinsichtlich ihrer Gifte analysiert wurden, nach Enzymen durchsucht. Dabei konnten wir zeigen, dass in ihren Giften insgesamt tatsächlich mehr als 140 verschiedene Enzymfamilien zu finden sind“, erläutert Studienleiter Dr. Tim Lüddecke, Leiter der Arbeitsgruppe „Animal Venomics“ am Gießener IME-BR und der Justus-Liebig-Universität Gießen. „Dies bedeutet unter anderem, dass wir die chemische Vielfalt in Spinnengiften bisher dramatisch unterschätzt haben, da alle Kalkulationen zur Komplexität lediglich auf den Neurotoxinen basieren.“

Die Ergebnisse der Arbeit ermöglichen laut der Autor*innen nicht nur neue Forschungsansätze zum besseren Verständnis der Evolution und Funktion von Spinnengiften, sondern eröffnen auch neue Perspektiven für ihre Nutzung. „Enzyme sind zentrale Bausteine der Bioökonomie. Sie beschleunigen chemische Reaktionen und zeichnen sich durch ihre sehr geringe Nebenproduktbildung, geringen Energieaufwand und ihre biologische Abbaubarkeit aus. Mit ihnen kann also ungemein nachhaltig Wertschöpfung betrieben werden. Die Industrie ist daher ständig auf der Suche nach neuen Quellen für Enzyme“, erklärt Josephine Dresler, Doktorandin der Arbeitsgruppe und Erstautorin der Studie. „Einige Enzyme, die wir identifiziert haben, könnten durch ihre fettspaltende oder proteinabbauende Wirkung beispielsweise in Waschmitteln oder der Abfallbeseitigung eingesetzt werden. Sie könnten dort signifikant zu einer Nachhaltigkeitstransformation beitragen“, ist Dresler überzeugt.

Die Arbeiten der Gießener Forscher*innen unterstreichen das Potenzial, das in Tiergiften und insbesondere in denen von Spinnen verborgen liegt. „Bislang hat sich die Forschungswelt ausschließlich auf medizinische oder landwirtschaftliche Anwendungen fokussiert. Unsere Entdeckung eröffnet die Möglichkeit, ein vollkommen neues Feld der Angewandten Forschung zu begründen“, erklärt Lüddecke. „Doch wir stehen erst am Anfang, denn bisher wurde erst weniger als ein Prozent aller Spinnenarten hinsichtlich ihrer Gifte erforscht. Ich bin mir sicher, dass wir in den verbleibenden 99 Prozent der weltweit vorkommenden Arten noch einige spannende Entdeckungen machen werden!“

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