Mit Gentherapie gegen die Bluterkrankheit
Als eine der ersten Einrichtungen in Deutschland darf die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) eine neue innovative Behandlung bei Hämophilie A und B durchführen
Ein Gerinnungsfaktor fehlt
Hämophilie ist eine genetisch bedingte Blutgerinnungsstörung. Den Betroffenen fehlt ein Gerinnungsfaktor, ein in der Leber produziertes Eiweiß. Die bekanntesten Formen der Bluterkrankheit sind Hämophilie A und B. Bei der einen fehlt der Gerinnungsfaktor VIII, bei der anderen der Gerinnungsfaktor IX. In Deutschland sind etwa 6.000 Menschen von der Erkrankung betroffen. Durch das fehlende Eiweiß gerinnt ihr Blut nicht oder nur langsam. Die Blutungsneigung ist erhöht, Blutungen dauern länger, blaue Flecken werden größer und entstehen häufiger. „Bei schweren Formen leiden die Patienten von Kindheit an unter spontanen Einblutungen in die großen Gelenke wie Knie, Ellenbogen oder Sprunggelenk. Das führt langfristig zur Zerstörung der Gelenke schon in jungem Lebensalter“, erklärt Prof. Dr. Andreas Tiede, Professor für Hämostaseologie und Leiter des Hämophilie-Zentrums. Zusätzlich hätten Menschen mit schwerer Hämophilie ein hohes Risiko für Hirnblutungen.
Betroffene müssen sich Medikament spritzen
Im Hämophilie-Zentrum der MHH werden rund 150 Patientinnen und Patienten mit schweren Gerinnungsstörungen dauerhaft betreut. Bisher müssen die Betroffenen mehrmals pro Woche die fehlenden Gerinnungsfaktor-Eiweiße selbst spritzen – das lernen die meisten schon im Kindesalter. Durch die Medikamentengabe kann der Gerinnungsfaktor im Blut aber nicht auf einem gleichmäßigen Level gehalten werden, denn die Halbwertzeit ist kurz. Deshalb ist das Spritzen regelmäßig erforderlich, auch auf Reisen und in jeder Lebenslage. Das gelingt nicht allen.
Nur eine Infusion
Die Gentherapie stellt den Betroffenen nun eine Verbesserung in Aussicht. Das Therapeutikum wird einmalig intravenös gespritzt. Das Gen für Gerinnungsfaktor VIII beziehungsweise IX gelangt dann mittels einer Virus-Fähre in die Leberzellen. Es bleibt als Episom, das ist ein kleiner DNA-Ring, im Zellkern und produziert dort das fehlende Eiweiß. Der Erfolg bei den Patientinnen und Patienten ist unterschiedlich groß. „In den Studien erreichten viele Patienten nahezu eine Normalisierung der Gerinnung und konnten die vorherige Therapie beenden. Man kann einem einzelnen Patienten aber noch nicht gut vorhersagen, welches Faktorlevel erreichet wird und wie lange der Erfolg im Einzelfall anhält“, erläutert Professor Tiede. Er räumt ein, dass die Gentherapie sich nicht für alle Betroffenen eigne. „Einige haben Antikörper gegen das Virus, das als Fähre eingesetzt wird. Dann können wir die Therapie leider nicht anbieten.“ Bei Menschen mit Lebererkrankungen wird individuell in Zusammenarbeit mit der MHH-Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie und Endokrinologie geprüft, ob der Patient oder die Patientin geeignet ist. Trotz der Einschränkungen hält Professor Tiede die Gentherapie für einen großen Schritt: „Wir können die Wirkung der Therapie anhand des Bluts zu jeder Zeit mit einfachen Labormethoden messen und so den Patienten beraten. Das sind sehr gute Voraussetzungen für die individuelle Betreuung und auch für die Weiterentwicklung der Gentherapie.“
Zertifikat nach ATMP-Richtlinien
Die Gentherapie bei Hämophilie fällt unter die Richtlinien der Advanced Therapy Medical Products (ATMP). Mit diesen Richtlinien regelt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Qualitätsanforderungen bei der Vorbereitung, Durchführung und Nachsorge von Gentherapien. Nur Einrichtungen, die diese Anforderungen erfüllen, dürfen Leistungen im Rahmen einer ATMP-Therapie erbringen, damit eine sachgerechte, sichere und hochwertige Versorgung gewährleistet ist. Das Hämophilie-Zentrum der MHH und seine Partner-Zentren wurden vom G-BA für die Gentherapie bei Hämophilie zertifiziert.
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