„Notausgang“ für Elektronen in Krebszellen

Rätsel des Warburg-Effekts gelöst: Biochemiker klärt Gründe für die Milchsäuregärung in Tumorzellen auf

03.09.2024
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Symbolbild

Krebszellen programmieren ihren Stoffwechsel um, um ein unkontrolliertes Wachstum zu ermöglichen. Unter anderem werden die Aufnahme und der Verbrauch von Glukose (Traubenzucker) durch Tumorzellen stark erhöht. Der Glukosestoffwechsel von Tumorzellen stellte die Krebsforschung bislang vor ein Rätsel: So hatte der Physiologe Otto Warburg in den 1920er-Jahren beobachtet, dass Krebszellen auch in Anwesenheit von Sauerstoff einen großen Teil der Glukose in Milchsäure (Laktat) umwandeln und diese ausscheiden. Indem sie Milchsäuregärung betreiben – was gesunde Zellen nur bei Sauerstoffmangel tun – scheiden sie einen Teil der Kohlenstoffgerüste, die sie eigentlich für das Zellwachstum verwenden könnten, wieder aus. Warum dies so ist, war bislang unklar. Der Biochemiker Prof. Dr. Michael Niepmann vom Biochemischen Institut am Fachbereich Medizin der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) hat den sogenannten Warburg-Effekt nun aufgeklärt: Mit dem Ausscheiden von Laktat halten die Krebszellen das nötige elektrochemische Gleichgewicht verschiedener Reaktionen in den umprogrammierten Zellen aufrecht.

Normalerweise sind die biochemischen Reaktionen in den Zellen fein aufeinander abgestimmt. „Im neu und eher grob verdrahteten Stoffwechsel der Krebszellen ist dieses Finetuning jedoch nicht mehr gegeben“, so Niepmann. „Dies führt dazu, dass das Gleichgewicht von Redoxreaktionen in diesen Zellen gestört wird.“ Bei Redoxreaktionen werden Elektronen übertragen. Dabei laufen Oxidation und Reduktion stets zusammen und gleichzeitig ab: Wenn ein Atom Elektronen abgibt, muss ein anderes Atom diese Elektronen aufnehmen. Eine Oxidation eines Stoffes kann nicht ablaufen, wenn die abgegebenen Elektronen nicht sofort in einer Reduktion von einem anderen Stoff aufgenommen werden können. Krebszellen nutzen Glukose, die sie unter anderem über die Glykolyse abbauen, zum einen zur Energiegewinnung, zum anderen als Biosynthese-Baustein für das verstärkte Zellwachstum. Durch die unzureichende Balance dieser Stoffwechselwege in den Krebszellen kommt es dazu, dass immer wieder Wasserstoffatome (beziehungsweise Elektronen), die bei der Oxidation der Kohlenstoffgerüste aus den Kohlenhydraten abgezogen werden, nicht über die Atmungskette auf Sauerstoff übertragen werden können und dann Wasser bilden.  „Diese Elektronen werden quasi als Notlösung auf das Endprodukt der Glykolyse – Brenztraubensäure, auch Pyruvat genannt – übertragen“, erläutert Niepmann. „Sie werden dann in Form von Laktat aus der Zelle ausgeschieden, um das Redoxgleichgewicht der Zelle zu erhalten.“

In seiner Studie hat er die kinetischen Eigenschaften derjenigen Enzyme analysiert, die das Pyruvat am Endpunkt der Glykolyse verschiedenen weitergehenden Stoffwechselwegen zuführen können – darunter die Produktion von Laktat. „Mit den Ergebnissen lässt sich der Warburg-Effekt, also die Milchsäuregärung durch Krebszellen trotz der Verfügbarkeit von Sauerstoff, jetzt vollständig erklären“, so Niepmann. Beim denkbaren therapeutischen Potenzial – beispielsweise die Hemmung der Umwandlung von Pyruvat in Laktat oder die Hemmung der Laktat-Sekretion – müssten unter anderem die wichtige Rolle von Laktat im Stoffwechsel vieler Körpergewebe und die somit zu erwartenden Nebenwirkungen berücksichtigt werden.

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