Alzheimer: Nervenzellen sind‘s nicht allein

Auch Gliazellen produzieren schädliche Proteine

15.08.2024
Andrew Octavian Sasmita

Bei Alzheimer bilden nicht nur Nervenzellen das Protein Beta-Amyloid (blau), das zu schädlichen Plaques verklumpt: Auch spezielle Gliazellen des Gehirns – die Oligodendrozyten (orange) – produzieren das Protein. Weiß gefärbt ist das isolierende Myelin.

Gedächtnisverlust, Verwirrtheit, Sprachstörungen – die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Ursache von Demenz und betrifft weltweit rund 35 Millionen Menschen, Tendenz steigend. Eine Schlüsselrolle in der Erkrankung spielt das Protein Beta-Amyloid, das natürlicherweise im Gehirn vorkommt: Es lagert sich in Betroffenen zu unlöslichen Klumpen zusammen, setzt sich in Form von Plaques zwischen Nervenzellen im Gehirn ab und schädigt diese. Forschende am Max-Planck-Institut (MPI) für Multidisziplinäre Naturwissenschaften konnten nun zeigen, dass im Gehirn nicht nur Nervenzellen, sondern auch Gliazellen Beta-Amyloid-Proteine produzieren. Dies könnte neue Ansätze für zukünftige Therapien bieten.

Alzheimer ist nicht heilbar. Doch es gibt Therapieansätze, mit denen sich die Amyloid-Plaques im Gehirn reduzieren lassen. Das kann das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen, aber nicht rückgängig machen oder stoppen. „Bisher waren Nervenzellen als vermeintliche Hauptproduzenten von Beta-Amyloid ein Hauptangriffspunkt für neue Medikamente“, erklärt Klaus-Armin Nave, Direktor am MPI für Multidisziplinäre Naturwissenschaften. Ergebnisse aus seiner Abteilung Neurogenetik zeigten jetzt: Neben Nervenzellen spielen auch bestimmte Gliazellen, sogenannte Oligodendrozyten, eine wichtige Rolle beim Entstehen von schädlichen Plaques.

„Die Aufgabe der Oligodendrozyten ist es unter anderem, Myelin – eine isolierende Schicht – zu bilden und diese zum schnelleren Übertragen von Signalen um die Nervenfasern zu wickeln“, erläutert Andrew Octavian Sasmita, einer der Erstautor*innen der jetzt in Nature Neuroscience veröffentlichten Arbeit und ehemaliger Doktorand der Abteilung Neurogenetik. Die Göttinger Forschungsgruppe hatte bereits in einer früheren Studie entdeckt, dass defektes Myelin der Oligodendrozyten die Alzheimer-Krankheit verschlimmert. Spielen die Gliazellen noch eine größere Rolle bei der Erkrankung als bisher angenommen?

Die Wissenschaftler*innen konnten nun zeigen, dass Nervenzellen zwar die Hauptproduzenten von Beta-Amyloid sind. „Aber auch Oligodendrozyten stellen eine beträchtliche Menge des Proteins her, das in Plaques eingebaut wird“, sagt Sasmita. Eine Forschungsgruppe um Marc Aurel Busche vom University College London (England) kam kürzlich zu ähnlichen Ergebnissen.

Plaque-Bildung eindämmen

Die Zellen des Nervensystems produzieren Beta-Amyloid, indem sie ein größeres Vorläufer-Molekül spalten. Einer der wichtigsten Helfer: das Enzym BACE1. Für ihre Experimente schalteten die Forschenden BACE1 in den Nervenzellen und Oligodendrozyten von Mäusen gezielt aus. Anschließend untersuchten sie die Plaque-Bildung im gesamten Gehirn mithilfe der 3D-Lichtblattmikroskopie und erhielten so ein vollständiges Bild der Amyloid-Plaques in allen Hirnregionen.

„Wenn BACE1 in Oligodendrozyten fehlte, entstanden etwa 30 Prozent weniger Plaques. In Nervenzellen, in denen das BACE1-Gen ausgeschaltet war, reduzierte dies die Plaque-Bildung um über 95 Prozent“, beschreibt Constanze Depp, ebenfalls Erstautorin der Studie und ehemalige Doktorandin in Naves Abteilung. Die Forschenden fanden auch heraus: „Plaque-Ablagerungen bilden sich erst, wenn eine gewisse Menge an neuronalem Beta-Amyloid vorhanden ist. Zu diesen tragen die Oligodendrozyten mit bei.“

Dieser Schwellenwert könnte für Alzheimer-Therapien hilfreich sein. Gelänge es, BACE1 zu hemmen, bevor dieser Schwellenwert erreicht ist, würden möglicherweise auch die Plaques erst später entstehen, betont Nave. Das könnte helfen, den Verlauf der Alzheimer-Krankheit bereits in frühen Stadien auszubremsen.

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