Das Gift des Bücherskorpions wirkt auch gegen Krankenhauskeime

09.08.2024
Louis Roth

Im Gift des Bücherskorpions (Chelifer cancroides) sind Wirkstoffe enthalten, mit denen sich künftig ein gefährlicher Krankenhauskeim bekämpfen lassen könnte.

Der nur wenige Millimeter große Bücherskorpion (Chelifer cancroides) gilt in Mitteleuropa als das bekannteste Mitglied der Pseudoskorpione, einer Ordnung der Spinnentiere. In Wohnräumen jagt er Hausstaubmilben sowie Staub- und Bücherläuse. Auch in Bienenstöcken erlegt er Schädlinge. Dabei setzt er häufig sein Gift ein. Hessische Forschende haben nun erstmals die Bestandteile dieses Gifts umfassend charakterisiert – und dabei Moleküle mit starker Wirkung auch gegen sogenannte Krankenhauskeime entdeckt. Die Ergebnisse können künftig dabei helfen, schwer zu behandelnde Infektionskrankheiten zu bekämpfen.

Es gelang einem Team hessischer Forscher*innen des LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (LOEWE-TBG) und weiterer Institutionen erstmals, alle bekannten Mitglieder einer Giftstofffamilie des Bücherskorpions (Chelifer cancroides) im Labor künstlich herzustellen und ihre Aktivität zu untersuchen. Dabei stießen die Wissenschaftler*innen auf eine überraschend stark ausgeprägte Wirksamkeit gegen einen bekannten Krankenhauskeim, den sogenannten Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA). Staphylokokken sind häufig vorkommende Bakterien, die insbesondere die Haut und Schleimhäute besiedeln. Die Besonderheit der MRSA-Varianten ist dabei, dass sie gegen das Antibiotikum Methicillin resistent sind und dadurch schwer behandelbare Infektionen beim Menschen verursachen, unter anderem nach operativen Eingriffen.

Die analysierte Toxinfamilie war in einer vorangehenden Arbeit bei der Entschlüsselung des Giftcocktails des Bücherskorpions neu entdeckt und als „Checacine“ benannt worden. Um schnell und effizient mehr über die Wirkungsweise dieser bisher unbekannten Toxinklasse herauszufinden, testeten verschiedene Arbeitsgruppen des LOEWE-Zentrums TBG parallel die Aktivität der Toxine gegen Tumorbildung, Bakterien und Entzündungen – am Frankfurter Fraunhofer-Institut für Translationale Medizin und Pharmakologie (ITMP), an der Goethe-Universität Frankfurt und am Gießener Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME, Institutsteil Bioressourcen (IME-BR). Die Studie wurde im Fachjournal „iScience“ veröffentlicht.

Doch bis zu einem möglichen pharmakologischen Einsatz gilt es noch weitere Hürden zu überwinden: „Unsere Daten zeigen, dass die Checacine leider auch eine gewissen Giftigkeit für menschliche Zellen aufweisen können und unter Umständen selbst Entzündungsreaktionen hervorrufen könnten. Wir müssen also, wie bei anderen Wirkstoffen genauso üblich, ihre Struktur und somit auch ihre Wirkung noch durch biotechnologische Verfahren optimieren“, erläutert die Co-Erstautorin der Studie, TBG-Wissenschaftlerin Dr. Pelin Erkoc, die während der Analysen am Institut für Pharmazeutische Biologie der Goethe-Universität Frankfurt tätig war. „Das Potenzial dieser Wirkstoffe ist jedoch jetzt schon deutlich zu erkennen. Laut Prognosen könnten antibiotikaresistente Infektionen in den nächsten Jahrzehnten zur global häufigsten krankheitsbedingten Todesursache avancieren. Deshalb ist es wichtig, auch mit ungewöhnlichen Ideen nach neuen Lösungsansätzen zu suchen“, ergänzt Dr. Michael Marner, Postdoktorand am Fraunhofer IME-BR und Co-Autor der Arbeit.

„Tiergifte sind eine wahre Schatztruhe voller möglicher Wirkstoffkandidaten, doch nur ein kleiner Teil wurde bisher untersucht“, betont Studienleiter Dr. Tim Lüddecke, Leiter der Nachwuchsgruppe Animal Venomics am Fraunhofer IME-BR und der Justus-Liebig-Universität Gießen sowie Mitglied des LOEWE-Zentrums TBG. „In meiner Gruppe haben wir moderne systembiologische und biotechnologische Methoden entwickelt, um gezielt die schwierig zu analysierenden, sehr kleinen Gifttiere zu erforschen. Wir fokussieren uns dabei besonders auf Spinnentiere. Sie sind sozusagen die Meisterchemiker unter den Gifttieren: Ihre Gifte sind besonders komplex und pharmakologisch vielversprechend. Unsere neuen Ergebnisse zu den Checacinen zeigen, wie sehr es sich lohnt, einen genauen Blick in das unbekannte Universum der Gifte kleiner Krabbeltiere zu werfen“, resümiert Lüddecke.

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