Neurobiologie: Waschmaschine fürs Gehirn

08.08.2024
Computer-generated image

Symbolbild

Forschende der Goethe-Universität Frankfurt und der Universität von Kalifornien in San Diego haben mit mikroskopischen Techniken erstmals zeigen können, dass die ins Gehirn eintauchenden Blutgefäße unabhängig vom Herzschlag und der Gehirnaktivität pulsieren. Die durch das Gehirn wandernden Wellen beeinflussen möglicherweise nicht nur die Blutversorgung des Organs – denkbar wäre, dass sie helfen, das Hirnwasser zu durchmischen und dadurch den Abtransport von Abfallstoffen zu verbessern.

Mit dem Blut werden Sauerstoff und Nährstoffe zu jeder einzelnen Zelle transportiert und gleichzeitig Abfallstoffe abgeführt. Ein Organ mit großem Sauerstoff- und Nährstoffbedarf ist das Gehirn. Es ist dementsprechend besonders gut durchblutet. Frisches, sauerstoffreiches Blut wird vom Herzen über die großen Hirnarterien an ein Netzwerk von Blutgefäßen abgegeben, die die Oberfläche des Gehirns umspannen. Von diesen sogenannten Piagefäßen zweigen die eintauchenden Arteriolen ins Innere des Gehirns ab. Die Durchblutung des Gehirns wird in Abhängigkeit von der neuronalen Aktivität aktiv gesteuert: Hirnbereiche mit größerer Stoffwechselaktivität werden besser durchblutet als andere – ein Phänomen, das sich bildgebende Verfahren wie die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) zunutze machen.

Darüber hinaus gibt es einen weiteren Mechanismus, der die Blutversorgung von Organen beeinflusst und der bereits seit dem 18. Jahrhundert bekannt ist: die Vasomotion. Dabei handelt es sich um Schwingungen der Gefäßwände, die durch abwechselnde Kontraktion und Entspannung der glatten Muskelzellen in den Gefäßwänden zustande kommen und völlig unabhängig vom Herzschlag sind. Diese Schwingungen treten periodisch einmal alle zehn Sekunden auf und sind bei so unterschiedlichen Säugetieren wie Mensch, Maus und Fledermaus beschrieben. Auch für die Piagefäße des Gehirns wurde Vasomotion bereits nachgewiesen.

Mithilfe einer Kombination aus mikroskopischen und physikalischen Methoden konnte nun ein Forscherteam um Thomas Broggini von der Goethe-Universität in Kooperation mit der Universität von Kalifornien in San Diego diese Oszillationen erstmals auch in den eintauchenden Arteriolen der Großhirnrinde von Mäusen sichtbar machen.

Messungen ergaben, dass die Vasomotion den Blutfluss in den Gefäßen um 20 Prozent veränderte. Interessanterweise war der Effekt im Ruhezustand ausgeprägter als in aktiven Hirnbereichen. „Dies zeigt, dass die Vasomotion die Durchblutung des Gehirns unabhängig von neurologischen Signalen tiefgreifend beeinflusst“, so Erstautor Thomas Broggini. Die Schwingungen generieren langwellige „Wanderwellen“ entlang aller Arteriolen, die sich mit einer Geschwindigkeit von zwei Millimetern pro Sekunde im Gehirn ausbreiten. Ihre Funktion ist noch immer rätselhaft, zumal sie in ganz unterschiedliche Richtungen laufen. Einen Hinweis auf eine mögliche Funktion könnten aber Ausbuchtungen geben, die die Wellen auf den Blutgefäßen erzeugen. Die Forschenden spekulieren, dass diese sich wellenförmig ausbreitenden Ausbuchtungen dabei helfen könnten, das Hirnwasser (Liquor), das die Hirnzellen umspült, zu durchmischen. „Dies könnte den Abtransport von fehlgefalteten Proteinen und Abfallstoffen durch den Liquor verbessern. Dieser Mechanismus ist bei der Alzheimer-Demenz und anderen neurodegenerativen Erkrankungen gestört“, erklärt Broggini.

Die neuen Erkenntnisse könnten helfen, fMRT-Scans, die die Durchblutung des Gehirns für diagnostische Zwecke sichtbar machen, besser zu verstehen. Weiterhin interessieren sich die Forschenden dafür, so Broggini, wie die Vasomotion Krankheiten beeinflusst, bei denen die Blutversorgung gestört ist: „In weiterführenden Arbeiten hier in Frankfurt werden wir zukünftig untersuchen, wie die Wanderwellen bei Schlaganfällen, Hirnblutungen und neurodegenerativen Erkrankungen verändert sind und welchen Einfluss sie auf die Entstehung der Krankheiten haben.“ Neue Therapien könnten dann etwa darauf abzielen, die Vasomotion zu modulieren, um die Blutversorgung in den betroffenen Hirnregionen zu verbessern.

Originalveröffentlichung

Weitere News aus dem Ressort Wissenschaft

Meistgelesene News

Weitere News von unseren anderen Portalen

Heiß, kalt, heiß, kalt -
das ist PCR!