Organoide: nicht Mensch, nicht Tier, irgendwann auch nicht mehr Sache?
Was sind Organoide eigentlich? Und benötigen sie besonderen Schutz, falls sie künftig in der Lage sein werden, Empfindungen zu haben?
Noch sind die Fähigkeiten von Organoiden und auch ihr Wachstum limitiert, weil sie aufgrund eines fehlenden Gefäßsystems irgendwann ihr Inneres nicht mehr mit Nährstoffen versorgen können. Doch ließe sich das umgehen: Denkbar ist die Kombination mehrerer Organoide oder die Schaffung künstlicher Gefäßnetzwerke, und eine weitere, bereits gegenwärtig genutzte Option ist die Transplantation in einen lebenden Organismus, also zum Beispiel in eine Maus. Im letztgenannten Fall ergibt sich dann auch noch die Frage, was für eine Art Mischwesen man dadurch erzeugt.
„Wir sollten über verschiedene Szenarien diskutieren, und zwar, bevor sie eingetreten sind“, sagt Lara Wiese. In ihrem Aufsatz hat sie den aktuellen Stand der Forschung zusammengefasst und wirft die Frage auf, was Hirnorganoide unter juristischen Gesichtspunkten eigentlich sind oder irgendwann einmal sein könnten: Sie werden zurzeit als bloße Sache eingeordnet und auch so behandelt, zweifelhaft erscheint allerdings, ob dies dauerhaft so bleiben sollte. Denn zukünftige, weiterentwickelte Hirnorganoide könnten bestimmte Eigenschaften oder größere Funktionspotenziale aufweisen, die sie von gewöhnlichen Biomaterialien unterscheiden und eine andere Klassifizierung nahelegen. Doch sind sie auch nicht Mensch und nicht Tier. „Der hin und wieder in Bezug auf Hirnorganoide genutzte Begriff ‚Novel Beings‘, also neuartige Wesen beziehungsweise Lebensformen, erscheint daher durchaus treffend“, sagt sie.
Schutzbedürftigkeit versus Forschungsfreiheit
Der Frage nach dem Status der Organoide schließt sich diejenige nach ihrer Schutzbedürftigkeit und auch den rechtlichen Schutzmöglichkeiten an. „Bestrebungen, Hirnorganoide zu schützen und ihre Nutzung zu beschränken, würden mit der grundgesetzlich gesicherten Forschungsfreiheit kollidieren“, so Wiese. „Man kann auch nicht einfach aus Vorsicht das Tierschutzgesetz auf Organoide anwenden. Denn sie sind keine Tiere und zudem – anders als Tiere – aktuell nicht durch die Verfassung geschützt.“ Letzteres könnte sich in Zukunft ändern, und dann wäre beispielsweise auch ein spezielles Hirnorganoidschutzgesetz denkbar, das etwaige konfligierende Interessen in einen Ausgleich bringen könnte. Lara Wiese plädiert dafür, die Diskussion darüber jetzt zu beginnen und sie möglichst interdisziplinär anzulegen. „Die klärungsbedürftigen Aspekte sind nicht nur in höchstem Maße komplex, sondern von grundsätzlicher Relevanz: Insbesondere mit Blick auf gegenwärtige und zukünftige ‚Novel Beings‘ könnte der Umgang mit Hirnorganoiden als Blaupause dienen.“