Welt der Bakterien entschlüsseln

Neuer Ansatz zur DNA-Transformation und Genmutation in Bakterien entwickelt: Grundlage für neue Antibiotika und zellbasierte Therapien

28.06.2024
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Symbolbild

Bakterien weisen eine Reihe einzigartiger Eigenschaften auf, die ein beträchtliches Potenzial für die Gesellschaft bergen. Die derzeitigen gentechnischen Methoden zur Nutzung dieser Vorteile sind jedoch auf einen kleinen Teil der Bakterienarten beschränkt. Ein Team des Helmholtz-Instituts für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) in Würzburg hat nun einen neuen Ansatz entwickelt, der es ermöglicht, viele weitere Bakterien gentechnisch zu verändern. Ihre Methode, genannt IMPRINT, nutzt zellfreie Systeme, um die DNA-Transformation in zahlreichen Bakterienstämmen zu verbessern. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Molecular Cell veröffentlicht.

Bakterien besiedeln praktisch jeden Lebensraum auf der Erde, auch innerhalb und auf unseren eigenen Körpern. Sie besser zu verstehen und gezielt zu verändern, kann zu neuen Methoden für die Diagnose, Behandlung und Prävention von Infektionen führen. Darüber hinaus eröffnen sich Möglichkeiten, Nutzpflanzen vor Krankheiten zu schützen. Zudem könnten Bakterien als nachhaltige Miniaturfabriken für die chemische Produktion eingesetzt werden, um Umweltbelastungen zu verringern. Und das sind nur einige der vielen Vorteile, die diese Mikroorganismen der Gesellschaft bieten könnten. Um diese Vorzüge nutzen zu können, müssen Forschende in der Lage sein, das Genmaterial dieser Bakterien zu verändern. Eine seit langem bestehende Herausforderung bei der gentechnischen Veränderung von Bakterien ist jedoch die effiziente DNA-Transformation, also das Einbringen fremder DNA in eine Zelle. Dies hat zur Folge, dass die Gentechnik nur bei einer kleinen Untergruppe von Mikroben zum Einsatz kommt.

Ein wesentliches Hindernis stellen dabei sogenannte Restriktions-Modifikationssysteme dar. Diese Schutzsysteme markieren das bakterielle Genom mit einem einzigartigen Methylierungsmuster und zerstören eingehende fremde DNA, die dieses Muster nicht aufweist. Um diese Barriere zu überwinden, müssen Forschende das Muster der Bakterien-DNA zur fremden DNA hinzufügen – ein bakterienstammspezifischer Vorgang, der mehrere DNA-Methyltransferasen erfordert. Diese Enzyme heften Methylgruppen, kleine chemische Gruppen aus einem Kohlenstoff- und drei Wasserstoffatomen, an DNA-Basen. Die aktuellen Methoden zur Reproduktion oder Umgehung dieser DNA-Methylierungsmuster sind arbeitsintensiv und nicht leicht skalierbar, weshalb neue Ansätze erforderlich sind.

Ein Team des Helmholtz-Instituts für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI), einem Standort des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Kooperation mit der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU), hat einen neuen Ansatz entwickelt, um Methylierungsmuster zu reproduzieren und die DNA-Transformation zu verbessern. Sie nannten ihn IMPRINT, was für „Imitating Methylation Patterns Rapidly IN TXTL“ steht. Um eine bestimmte Gruppe von DNA-Methyltransferasen eines Bakteriums zu synthetisieren, verwenden die Forschenden im Rahmen dieser Methode ein zellfreies Transkriptions-Translations-System (TXTL). Mithilfe dieses Gemischs lassen sich aus zugegebener DNA Ribonukleinsäure (RNA, von engl. ribonucleic acid) und Proteine herstellen. Diese Enzyme setzt das Team wiederum ein, um die DNA vor ihrer Übertragung in das Zielbakterium mit dem Methylierungsmuster zu versehen.

Eine völlig neue Art der Anwendung

„IMPRINT stellt eine völlig neue Nutzung von TXTL dar. Während TXTL für verschiedene Zwecke weit verbreitet ist, darunter die Herstellung schwer zu synthetisierender Proteine oder als kostengünstiges Diagnosewerkzeug, wurde es bisher nicht eingesetzt, um Barrieren bei der DNA-Transformation in Bakterien zu überwinden“, sagt Chase Beisel, Leiter der Abteilung für Synthetische RNA-Biologie am HIRI und Professor an der Medizinischen Fakultät der JMU. Er führte die Studie in Zusammenarbeit mit Forschenden der North Carolina State University (NC State) in Raleigh, USA, durch. Ihre Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Molecular Cell veröffentlicht.

Im Vergleich zu bestehenden Methoden ist IMPRINT schneller und einfacher: „Derzeitige Ansätze erfordern entweder die mühsame Aufreinigung einzelner DNA-Methyltransferasen oder deren Expression in E. coli, was sich oft als zellschädigend erweist“, sagt Justin M. Vento, Erstautor der Studie, der die Forschungsarbeit als Doktorand in der Abteilung für Chemie- und Biomolekulartechnik an der NC State durchgeführt hat. „Diese Methoden benötigen Tage bis Wochen und liefern lediglich einen Bruchteil des bakteriellen Methylierungsmusters.“

Das Team konnte zeigen, dass IMPRINT eine Vielzahl von DNA-Methyltransferasen erzeugen kann. Darüber hinaus konnten die Forschenden diese Enzyme kombinieren, um komplexe Methylierungsmuster nachzubilden. So konnten sie die DNA-Transformation in Bakterien wie dem Krankheitserreger Salmonella und den probiotischen Bifidobakterien, darunter ein schwer zu transformierender Stamm dieser wenig erforschten Bakterien, erheblich verbessern. 

Grundlage für neue Antibiotika und zellbasierte Therapien

Die potenziellen Anwendungsgebiete von IMPRINT in der modernen Medizin und Forschung sind vielfältig: IMPRINT kann die DNA-Transformation in klinischen Proben bakterieller Pathogene und Bakterien, die Infektionen bekämpfen, verbessern. Zu letzteren zählen kommensale Bakterien oder Bakterien, die antibakterielle Substanzen produzieren. Die genetische Modifikation dieser Mikroben könnte zur Entwicklung neuer Antibiotika-Klassen und zellbasierter Therapien führen.

Das Forschungsteam plant, den Einsatz von IMPRINT auszuweiten. „Unser Ziel ist es, eine Vielzahl von bakteriellen Pathogenen für die Forschung genetisch zugänglich zu machen“, sagt Beisel. Er hofft, dass IMPRINT von der Forschungsgemeinschaft weithin angenommen wird. „Bis jetzt wurden bestimmte Bakterien als Modelle bevorzugt, einfach, weil sie leichter genetisch zu manipulieren sind. Unsere Hoffnung ist, dass IMPRINT es den Forschenden ermöglicht, sich auf die relevantesten Bakterienstämme zu konzentrieren, beispielsweise solche mit erhöhter Virulenz oder Antibiotikaresistenz“, schließt Beisel.

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