Neues Konzept zur Bestimmung des individuellen Risikos für altersbedingte Krankheiten
Neues Verständnis von Altern und Krankheitsrisiko mithilfe der Proteinaggregationsuhr
© Nike Heinss / JGU
Wenn wir älter werden, verändern sich nach und nach die DNA und die Proteine, aus denen unser Körper besteht, sodass er nicht mehr so gut funktioniert wie früher. Das wiederum macht uns anfälliger für viele altersbedingte Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Alzheimer. Eine wichtige Veränderung besteht darin, dass Proteine in unseren Zellen manchmal falsch gefaltet werden und zu Aggregaten, sogenannten Amyloiden, verklumpen können. Fehlfaltung und Aggregation können bei jedem Protein auftreten, aber eine bestimmte Gruppe von Proteinen – die sogenannten intrinsisch ungeordneten Proteine (IDP) – sind besonders anfällig für die Bildung von Amyloiden. Diese IDPs machen etwa 30 Prozent der Proteine in unseren Zellen aus. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie keine feste Struktur haben. Stattdessen sind sie flexibel und beweglich wie gekochte Spaghetti.
Forschende haben herausgefunden, dass sich IDP-Aggregate mit zunehmendem Alter in vielen langlebigen Zellen, beispielsweise in Nerven- oder Muskelzellen, ansammeln. Die molekularen Mechanismen dafür werden noch erforscht, es ist aber bereits bekannt, dass diese Aggregate altersbedingte Krankheiten verursachen können, insbesondere neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson. Zahlreiche Aggregate in einer Zelle könnten also ein Indikator dafür sein, wie ungesund die Zelle ist oder ob eine Person voraussichtlich bald eine altersbedingte Krankheit entwickeln wird. In ihrem kürzlich veröffentlichten Artikel schlagen Dormann und Lemke vor, dass die IDP-Aggregation als biologische "Uhr" verwendet werden könnte, um die Gesundheit und das Altern eines Menschen zu messen.
In der Zukunft könnte eine solche Proteinaggregationsuhr äußerst nützlich sein: Zum einen könnten Ärztinnen und Ärzte sie nutzen, um altersbedingte Krankheiten in einem sehr frühen Stadium zu diagnostizieren oder um Menschen zu identifizieren, die noch nicht krank sind, aber im Alter ein höheres Erkrankungsrisiko haben. So könnten diese Menschen präventiv behandelt werden, bevor sie eine schwere Krankheit entwickeln. Außerdem könnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler damit bewerten, wie sich neue experimentelle Behandlungen zur Verminderung der Proteinaggregation auf die Entstehung altersbedingter Krankheiten auswirken.
"In der Praxis sind wir noch weit von einem routinemäßigen diagnostischen Test entfernt. Zunächst ist es wichtig, dass wir die grundlegenden Mechanismen, die zur IDP-Aggregation führen, besser verstehen", erklärt Prof. Dr. Dorothee Dormann, Professorin für Molekulare Zellbiologie an der JGU. "Wir wollen die Forschung dazu anregen, Proteinaggregate zu nutzen, um biologische Alterungsprozesse zu messen und zu verstehen." Prof. Dr. Edward Lemke, Professor für Synthetische Biophysik an der JGU, ergänzt: "Wir sind optimistisch, dass wir in Zukunft durch Forschung zur IDP-Dynamik und technologische Entwicklungen in der Lage sein werden, die derzeitigen Herausforderungen beim Ablesen der Proteinaggregationsuhr zu überwinden."
Obwohl es bereits andere "Uhren" zur Messung von Alterung und Gesundheit gibt, beruhen die meisten von ihnen auf der Analyse von Nukleinsäuren wie DNA. Dormann und Lemke sind der Meinung, dass eine biologische Uhr, die auf Proteinen basiert, eine sinnvolle Ergänzung zu diesen bestehenden Uhren wäre, da Proteine den Funktionszustand einer Zelle sehr gut abbilden. Mithilfe einer solchen Proteinaggregationsuhr hoffen sie, dem Ziel, Menschen beim gesunden Altern zu helfen und altersbedingte Krankheiten zu verhindern, einen Schritt näher zu kommen.
Prof. Dr. Dorothee Dormann und Prof. Dr. Edward Lemke sind mit ihrer Forschung am Center for Healthy Ageing (CHA) beteiligt, einem virtuellen Forschungszentrum, das Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Mainz zusammenbringt, die sich in der Grundlagen- und klinischen Forschung mit dem Altern und altersbedingten Krankheiten beschäftigen. Diese Erkenntnisse sollen genutzt werden, um gesundes Altern zu fördern und Behandlungen zu finden, die altersbedingte Krankheiten verhindern oder heilen könnten.