Johanniskräuter: TU Braunschweig entdeckt wichtige Schritte der Biosynthese
Das eröffnet die Chance, die komplexen Inhaltsstoffe biotechnologisch zu gewinnen
Extrakte des Echten Johanniskrauts werden zur Behandlung von leichten bis mittelschweren Depressionen eingesetzt. Ihre Wirksamkeit ist in zahlreichen klinischen Studien belegt. Der herausragende Wirkstoff ist das Hyperforin. Über 1000 ähnliche Verbindungen wurden inzwischen in anderen Johanniskräutern nachgewiesen. Ihnen allen gemein ist die komplexe chemische Struktur. Deshalb ist die Totalsynthese schwierig, also die vollständige chemische Rekonstruktion der Naturstoffe aus Grundsubstanzen.
Auch die Isolierung der Wirkstoffe ist herausfordernd, da die Gehalte in den Pflanzen gering sind. Andererseits haben die Inhaltsstoffe viele interessante pharmakologische Wirkungen, etwa antitumorale (gegen Krebs wirksame) und antibakterielle Aktivitäten. Um eine alternative Quelle für ihre Gewinnung zu erschließen, ist das Institut für Pharmazeutische Biologie bestrebt, die Biosynthese aus Johanniskräutern in Mikroorganismen zu übertragen. Mikroorganismen sind vergleichsweise einfach in Bioreaktoren als Zellfabriken zu kultivieren. Prädestiniert für diesen Prozess ist das Zentrum für Pharmaverfahrenstechnik (PVZ) der TU Braunschweig.
Die Rekonstruktion der pflanzlichen Biosynthese in Mikroorganismen verlangt aber, dass die Schritte des Biosynthesewegs bekannt sind. Genau hier wurde jetzt ein Durchbruch erzielt. Die Inhaltsstoffe der Johanniskräuter umfassen größtenteils zwei Molekülvarianten, die aus derselben Vorstufe entstehen. Ein in China verbreitetes Johanniskraut (Hypericum sampsonii) ist besonders reich an komplexen Inhaltsstoffen, zudem sind beide Molekülvarianten vertreten. 2010 brachte Dr. Benye Liu diese Pflanze an die TU Braunschweig. Jetzt konnten zwei neue bifunktionelle Enzyme in dieser Pflanze nachgewiesen werden. Sie vergrößern die Vorstufe um einen Rest aus fünf Kohlenstoffatomen und bewerkstelligen zudem zwei positionsverschiedene Ringüberbrückungen. Daraus resultieren die beiden alternativen, verbrückten Molekülvarianten, die noch mit Seitenketten dekoriert sind. Die Analyse dieser enzymatischen Produkte sowie der komplexen Inhaltsstoffe erfolgte in enger Kooperation mit dem Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie in Jena.
Ein weiterer Kooperationspartner war ein Institut der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Tianjin. Hier wurden für beide Enzyme mit Hilfe von Computersimulationen Modelle erstellt, um ihre regiodivergenten prenylativen Zyklisierungen zu erklären – biochemische Reaktionen, bei denen ein Kohlenwasserstoff (Isopren) einem offenkettigen Seitenrest des Ausgangsmoleküls hinzugefügt wird, was dann zur Bildung eines bizyklischen (zweiringförmigen) Produktmoleküls führt. Diese Reaktionen sind wichtig bei der Biosynthese von komplexen organischen Verbindungen und inspirierend für die Naturstoffchemie sowie die biotechnologische Herstellung von bioaktiven Molekülen.
Interessanterweise wird die gemeinsame Vorstufe im ersten Enzym aufrecht und im zweiten Enzym andersherum gebunden. Die für die Stabilisierung dieser Bindungsposen wesentlichen Aminosäuren wurden identifiziert und ihr gegenseitiger Austausch überführte das eine in das andere Enzym.
Wahrscheinlich sind die verbrückten Produkte der hier untersuchten Enzyme die Vorstufen für noch komplexere, käfigartige Verbindungen, die ebenfalls in Johanniskräutern vorkommen und von pharmazeutischem Interesse sind. Die Suche nach den nachgeschalteten Enzymen, die diese dann noch komplexeren Verbindungen aufbauen, sollte durch die bisherigen Erkenntnisse erleichtert sein. Somit steigt die Chance, entsprechende mikrobielle Produktionsplattformen zu erstellen, um die faszinierenden Inhaltsstoffe der Johanniskräuter für die präklinische Entwicklung verfügbar zu machen.