Eine zweite Chance für einen neuen antibiotischen Wirkstoff
Vor 20 Jahren verworfener Wirkstoffkandidat dank neuer Forschung nun möglicherweise selektiver
Wegen seiner Nebenwirkungen wurde ein Wirkstoffkandidat vor 20 Jahren verworfen. Forschende haben jetzt eine Möglichkeit gefunden, ein Nachfolgemolekül möglicherweise selektiver zu machen.
Immer mehr Bakterien sind gegen viele bekannte Antibiotika resistent. Bochumer Forschende haben für einen möglichen Wirkstoff, dessen Vorgänger jedoch verworfen wurde, eine neue Chance entdeckt: Durch sehr genaue dreidimensionale Untersuchungen seiner Interaktion mit dem bakteriellen Zielprotein konnten sie einen bislang unbekannten Angriffspunkt ausmachen, der dazu einlädt, den Wirkstoff daran anzupassen. „Da dieser Angriffspunkt nur in Bakterienproteinen vorkommt, würde das den Wirkstoff sehr viel selektiver machen und seine Schädlichkeit für menschliche Zellen senken“, erklärt Prof. Dr. Raphael Stoll, Leiter der Arbeitsgruppe Biomolekulare NMR-Spektroskopie an der Fakultät für Chemie und Biochemie der Ruhr-Universität Bochum. Die Forschenden haben ihre Ergebnisse am 4. April 2024 in der Zeitschrift Journal of Medicinal Chemistry veröffentlicht.
Große Anstrengungen vor 20 Jahren
Im Mittelpunkt der Studie stand das Protein Peptid-Deformylase, kurz PDF. Es ist an Proteinreifungsprozessen in Zellen beteiligt und somit für Bakterien überlebenswichtig. Allerdings kommt es sowohl in Bakterien als auch in menschlichen Zellen vor. „Vor etwa 20 Jahren hat man große Anstrengungen unternommen, mit antibiotischen Wirkstoffen gegen das PDF vorzugehen“, berichtet Raphael Stoll. „Man hat den ursprünglichen Wirkstoffkandidaten namens Actinonin aber dann aus mehreren Gründen verwerfen müssen. Problematisch war unter anderem auch das zu der Zeit neu entdeckte, menschliche PDF, dessen Vorhandensein potenziell mit Nebenwirkungen verbunden ist. Abgewandelte Wirkstoffe wurden jedoch weiter erforscht“, ergänzt Hendrik Kirschner. Er schaute sich im Rahmen seiner Doktorarbeit das PDF in der aktuellen Studie ganz genau an und analysierte es aus strukturbiologischer Sicht mittels biomolekularer Kernspinresonanz (NMR)-Spektroskopie und Röntgenkristallografie. Dadurch konnte er eine bis ins kleinste Detail aufgelöste 3D-Struktur erzeugen. „Das ist das Ergebnis einer langjährigen Zusammenarbeit mit unserem Kollegen Prof. Dr. Eckhard Hofmann“, sagt Raphael Stoll.
Den Wirkstoff anpassen und selektiver machen
„Wir können mit diesen Techniken Oberflächen sowie Bindungstaschen der Biomoleküle sichtbar machen und zeigen, dass die Bindung des Moleküls an dieses Protein nicht statisch, sondern dynamisch ist“, erklärt Hendrik Kirschner. Den Forschenden fiel auf, dass es für ein abgewandeltes Wirkstoffmolekül zwei verschiedene Bindungsorientierungen im Protein gibt: Neben der Orientierung, die auch beim menschlichen PDF vorhanden ist, noch eine zweite, die im Prinzip ausschließlich bei bakteriellem PDF vorkommen sollte. „Das lädt dazu ein, das Wirkstoffmolekül so anzupassen, damit es diese zweite Bindungsorientierung bevorzugt“, so Raphael Stoll. Somit könne man den antibiotischen Wirkstoff selektiver gestalten. „Das könnte eine zweite Chance für diesen Wirkstoffkandidaten bedeuten“, ergänzt Hendrik Kirschner.
Originalveröffentlichung
Meistgelesene News
Originalveröffentlichung
Weitere News aus dem Ressort Wissenschaft
Holen Sie sich die Life-Science-Branche in Ihren Posteingang
Ab sofort nichts mehr verpassen: Unser Newsletter für Biotechnologie, Pharma und Life Sciences bringt Sie jeden Dienstag und Donnerstag auf den neuesten Stand. Aktuelle Branchen-News, Produkt-Highlights und Innovationen - kompakt und verständlich in Ihrem Posteingang. Von uns recherchiert, damit Sie es nicht tun müssen.