Forschung unter Hochdruck
Warum 3.000 Bar nötig sind, um einen umfassenden Blick auf ein Protein zu werfen
Copyright: AG Kovermann, Universität Konstanz
Ein Druck von 3.000 Bar liegt auf dem Kälteschockprotein B des Bacillus subtilis, in einem kleinen Röhrchen im NMR-Spektroskopie-Labor der Universität Konstanz. Das entspricht in etwa dem Dreifachen des Wasserdrucks am tiefsten Punkt des Ozeans. Der Druck ist so intensiv, dass das hochdynamische Protein strukturelle Merkmale zeigt, die unter Normaldruck nicht deutlich genug ausgeprägt wären. Warum aber wenden die Wissenschaftler diesen hohen Druck an, wie er sonst nirgendwo auf unserem Planeten unter natürlichen Bedingungen vorkommt? Die Antwort lautet: Um Prozesse und Eigenschaften zu untersuchen, die zu flüchtig sind, um sie unter Normalbedingungen überhaupt beobachten zu können.
„Durch den Hochdruck machen wir Zustände sichtbar, die es bei 1 Bar zwar schon gibt, die aber erst bei 3.000 Bar direkt beobachtbar sind“, schildert Frederic Berner. Der Konstanzer Doktorand erforscht im wahrsten Sinne des Wortes „unter Hochdruck“ die Eigenschaften, die einem Protein durch seine Struktur gegeben sind – und wie Änderungen in der Struktur dessen Eigenschaften beeinflussen. Gemeinsam mit Michael Kovermann, Leiter der Arbeitsgruppe Magnetische Resonanzspektroskopie komplexer molekularer Systeme an der Universität Konstanz, entwickelte er jüngst eine neue Methode, wie die strukturellen Eigenschaften eines Proteins möglichst unverfälscht von Umgebungseffekten analysiert werden können – bei 3.000 Bar. Die beiden Forscher stellten ihr neues Verfahren nun in der Fachzeitschrift Angewandte Chemie International Edition vor.
Proteine: Wie die Struktur ihre Eigenschaften beeinflusst
Proteine sind Grundbausteine des Lebens. Sie bestehen aus Aminosäureketten, deren dreidimensionale Struktur die unterschiedlichsten Formationen annehmen kann: Sie „falten“ sich, wie man auch ein langes Papierband in die unterschiedlichsten Formen knicken kann. Die funktionalen Eigenschaften eines Proteins hängen dabei wesentlich von der Art seiner Faltung ab. Dasselbe Protein kann also ganz unterschiedliche Wirkungen in der Zelle haben, je nachdem, in welche Form es gefaltet ist. „Was für Proteine wichtig ist, ist ihre Struktur, die wiederum mit Funktionen verbunden ist. Wenn man biochemische Mechanismen aufklären will, benötigt man Informationen über ihre Struktur“, so Berner.
In der Forschung möchte man die Eigenschaften der Proteinstruktur idealerweise in ihrer „reinen“ Form festhalten – möglichst ungetrübt von Einflussfaktoren aus ihrer Umgebung. Das ist aber gar nicht so einfach, aus zwei Gründen: Erstens gibt es so gut wie immer Wechselwirkungen mit dem Lösungsmittel, in dem das Protein liegt, sowie mit benachbarten Abschnitten seiner Molekülkette. Zweitens sind Proteine hochdynamisch, ihre Faltung ist immerzu in Bewegung. Es gibt zum Beispiel Proteine, die unentwegt wie eine Schere auseinander- und wieder zusammenklappen. In den Bruchteilen einer Sekunde, in denen es aufklappt, findet eine chemische Reaktion statt. Das geschieht allerdings viel zu schnell, um es direkt untersuchen zu können.
Unter Hochdruck
Hier kommt nun der Druck von 3.000 Bar ins Spiel: Das Molekül wird dadurch in einen bestimmten Zustand gedrückt und damit strukturell manipuliert: Die Schere bleibt aufgeklappt. Nun erst können die Forscher in Ruhe mittels Kernspinresonanzspektroskopie spezifische strukturelle Eigenschaften des Proteins untersuchen, die unter Normaldruck nicht direkt zugänglich sind.
Bisherige Analyseverfahren nehmen die Umgebungseffekte häufig in Kauf und versuchen, sie hinterher herauszurechnen. Das neue Hochdruckverfahren von Kovermann und Berner kann die Umgebungseffekte hingegen von vornherein („intrinsisch“) unterdrücken oder „korrigieren“, um einen möglichst unverfälschten Blick auf das Protein zu haben. Besonders aufschlussreich ist es, das neue Verfahren in Kombination mit bestehenden Methoden zu verwenden und zu vergleichen, da auf diese Weise die unterschiedlichen Einflussfaktoren im Detail sichtbar werden. Das Konstanzer Hochdruckverfahren hat bereits jetzt, in der frühen Phase seiner Anwendung, sehr gute Ergebnisse erzielt. Frederic Berner und Michael Kovermann betonen, dass nun weitere Experimente und Computersimulationen stattfinden sollen, um das Verfahren weiter zu überprüfen und potenziell zu verfeinern.
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