Zielgerichtete Blockade von Entzündungsbotenstoff erstmals per Tablette

Forschungsteam zeigt in einer klinischen Phase-2-Studie die Wirksamkeit einer auf einer IL-23 Blockade basierenden Therapie gegen Schuppenflechte, die oral verabreicht wird

28.02.2024
© UKSH

Prof. Dr. Sascha Gerdes, Mitglied im Exzellenzcluster PMI, Leiter des klinischen Studienzentrums entzündliche Hauterkrankungen und stellvertretender Direktor der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel.

Ein vielversprechender Ansatz zur Behandlung chronischer Entzündungserkrankungen sind moderne, zielgerichtete Therapien, die Entzündungsbotenstoffe, sogenannte Zytokine, oder deren Signalwege hemmen und so die Entzündung eindämmen, ohne in andere Prozesse einzugreifen. Dadurch sind sie in der Regel wirkungsvoller und verträglicher als ältere, nicht zielgerichtete Therapien. Doch die zugelassenen, auf einer Zytokinblockade beruhenden Medikamente haben bisher alle einen Nachteil: Sie können nur per Spritze oder Infusion gegeben werden. Nun haben Forschende erstmals ein neues Medikament erfolgreich an Patientinnen und Patienten mit Schuppenflechte (Psoriasis vulgaris) getestet, das gezielt das Zytokin IL-23 blockiert und oral, also in Tablettenform, gegeben werden kann. Die Ergebnisse dieser Phase-2-Studie haben die Forschenden unter Beteiligung des Kieler Dermatologen Professor Sascha Gerdes, Mitglied im Exzellenzcluster „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI), vor kurzem im New England Journal of Medicine publiziert.

Klinische Studie mit Kieler Beteiligung

„Wir konnten zeigen, dass das neue, als Tablette eingenommene Medikament bei Psoriasis vulgaris in den getesteten Dosierungen wirkt und die Nebenwirkungen gering sind. Das heißt konkret: Die Symptome, wie Hautrötung und -verdickung, Schuppung und Juckreiz sind innerhalb weniger Wochen deutlich zurückgegangen und in vielen Fällen auch komplett verschwunden“, berichtet Gerdes, Leiter des klinischen Studienzentrums entzündliche Hauterkrankungen und stellvertretender Direktor der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel. „Damit haben wir erstmals eine wirksame, auf einer Zytokinblockade basierende Therapie, die oral verabreicht werden kann. Das gibt es in der gesamten Entzündungsmedizin noch nicht“, so Gerdes weiter, der in der vorliegenden internationalen Studie die klinische Prüfung für alle beteiligten Studienzentren in Deutschland geleitet hat. Auch am UKSH in Kiel waren Patientinnen und Patienten an der Studie beteiligt.

Die Molekülbeschaffenheit macht orale Gabe möglich

Psoriasis vulgaris, auch Schuppenflechte genannt, ist eine chronisch-entzündliche, nicht ansteckende Erkrankung, die sich meist über juckende und schuppende, rote Hautveränderungen äußert, aber auch weitere Organe, wie etwa Gelenke, befallen kann. In Deutschland sind schätzungsweise zwei Millionen Menschen betroffen. Der Erkrankung liegt eine fehlgeleitete Immunreaktion zugrunde, das heißt, das Immunsystem ist überaktiv und erzeugt eine nicht gewünschte Entzündung der Haut. Bei dem Entzündungsprozess spielt unter anderem das Zytokin Interleukin 23, kurz IL-23, eine wichtige Rolle, was es zu einem wichtigen Therapieziel zielgerichteter Medikamente macht. Doch alle zugelassenen Therapien, die gezielt IL-23 oder dessen Signalweg blockieren, können zur Behandlung der Schuppenflechte bisher nur per Spritze verabreicht werden.   

„Diese bisherigen zytokinblockierenden Therapien basieren auf relativ komplexen Antikörpern oder Fusionsproteinen, also großen Eiweißmolekülen. Diese können nicht oral aufgenommen werden, da sie im Mund und Magen direkt zerkleinert würden und so unwirksam werden“, erklärt Gerdes. „Der von uns getestete neue Wirkstoff blockiert gezielt den IL-23-Rezeptor und damit den entzündungsfördernden IL-23-Signalweg. Das Besondere ist, dass er deutlich kleiner ist als die bisherigen zugelassenen Wirkstoffe und dadurch – als Tablette eingenommen – beim Weg durch den Verdauungstrakt nicht zerkleinert wird, sondern noch intakt und in ausreichender Menge bei den Entzündungszellen ankommt“, so Gerdes weiter. Die Tablettenform ist nicht nur für die Betroffenen in der Regel angenehmer, sie macht auch individuell unabhängiger, zudem müssen die Tabletten im Gegensatz zu den bisherigen zytokinblockierenden Therapien nicht gekühlt werden.

Auch für andere chronische Entzündungserkrankungen relevant

„Die vorliegende Studie ist ein wichtiger Schritt für die Therapieentwicklung chronischer Entzündungen. Erstmals ist es gelungen, über eine orale Therapie, also eine Tablette, gezielt einen Zytokinsignalweg zu blockieren und dadurch die Entzündung zu bekämpfen. Das ist nicht nur für Psoriasis wichtig, sondern weit darüber hinaus“, betont Professor Stefan Schreiber, Sprecher des Exzellenzclusters „Precision Medicine in Chronic Inflammation“. Denn auch bei anderen chronischen Entzündungserkrankungen spielt IL-23 eine entscheidende Rolle. Mehrere aktuell zugelassene und sehr wirksame Medikamente bei chronischen Darmentzündungen und rheumatischen Erkrankungen blockieren gezielt IL-23, nutzen also einen sehr ähnlichen Wirkmechanismus wie das untersuchte neue Medikament. Doch bisher können alle diese zugelassenen Mittel nur per Spritze oder Infusion gegeben werden. „Da wir wissen, dass einigen anderen Entzündungserkrankungen die gleichen Mechanismen wie bei Psoriasis zugrunde liegen, ist davon auszugehen, dass der jetzt bei Psoriasis erfolgreich getestete Wirkstoff auch bei diesen Erkrankungen funktionieren könnte“, so Schreiber weiter.

Phase-3-Studie bereits in den Startlöchern

Nachdem die vorliegende Phase-2-Studie nun prinzipiell gezeigt hat, dass das orale Medikament bei Patientinnen und Patienten wirkt, sollen die Ergebnisse als nächstes in einer deutlich größeren und länger angelegten Phase-3-Studie bestätigt werden. In dieser letzten klinischen Studienphase vor einer möglichen Zulassung des Medikaments soll in mehreren Studien an mehr als 1500 Patientinnen und Patienten an verschiedenen Studienzentren weltweit über mehrere Jahre hinweg die Wirksamkeit und Verträglichkeit ausführlich und präzise nachgewiesen werden. „An der Hautklinik am Campus Kiel des UKSH haben wir bereits erste Patientinnen und Patienten mit Psoriasis in diese neue Studienphase aufgenommen, in wenigen Wochen wird sie starten“, sagt Professor Stephan Weidinger, Direktor der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie des UKSH, Campus Kiel, Professor der medizinischen Fakultät der CAU und Vorstandsmitglied des Exzellenzclusters PMI.

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